Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
Nimmer, o Zaqarbal. Vielleicht ist es so, daß ich Tolmides auswendig kenne, während ich genau weiß, daß ich Ninurta niemals inwendig ausmessen kann.«
    »Könntest du das ein bißchen erläutern?«
    Kynara sagte nichts, blickte nur weiter ins Tal hinab und streichelte seine Hand mit den halbbeweglichen Kuppen der verschränkten Finger.
    Zaqarbal bedurfte eigentlich keiner Erhellung. Alle wußten, alle hatten bemerkt, was Ninurtas Fehlen bedeutete. Er war nicht Fürst oder gewähltes Oberhaupt, aber irgendwie hatte er immer dafür gesorgt, daß alles so ablief, wie es für alle am besten war. Keine Befehle – ein sanfter Hinweis, ein Ratschlag, eine Frage… Er war nicht der Älteste, aber von den Eignern derjenige, der am längsten dazugehörte. Ein mykenischer Händler namens Argesippos hatte, wie es hieß, die Insel vor mehr als vierzig Jahren entdeckt, als er im Sturm strandete; er war über die abweisenden Felsen geklettert und hatte das Tal gefunden. Es war ihm gelungen, aus den Trümmern seines Schiffs ein Behelfsboot zu bauen, mit dem er Ialysos erreichte, wo er einen Vertrag mit Gorgidas, dem Vater des jetzigen Fürsten Keleos, schloß; danach hatte er Handwerker und andere Händler, alle sorgsam ausgewählt, zur Insel gebracht. Djoser und Zaqarbal kannten das Eiland seit sechs Jahren und gehörten seit drei Jahren zu den Eignern; in dieser Zeit waren zwei Eigner ausgeschieden – verschollen, gesunken, getötet? Niemand wußte es. Ninurta war seit sechzehn Jahren dabei, länger als alle anderen Eigner. Tarhunza und Leukippe waren älter als der Assyrer, aber er hatte beide zur Insel gebracht. Minyas und Tolmides waren von anderen, inzwischen »ausgeschiedenen« Eignern ausgesucht worden, als Ninurta schon dazugehörte. Einige Handwerker konnten noch Geschichten aus der Vorzeit erzählen, und vom Schmied Shakkan hatte Zaqarbal gehört, wie Ninurta die wüste Riesin Tarhunza zähmte und zur Insel brachte – eine Geschichte, die Ninurta und Tarhunza weder bestätigten noch leugneten: Die Hatti- Frau habe, so Shakkan, vor Jahren Ninurtas erstes eigenes Schiff überfallen, als Seeräuberin, eine von Hunderten (Männer und Frauen) an Kilikiens rauhem buchtenreichen Gestade.
    »Vier Schiffe gegen eins«, sagte Shakkan. »Ninurta und seine Leute haben sich gewehrt, aber hoffnungslos. Als Tarhunza, Herrin der vier Räuberboote, zu ihm an Bord kam – stell dir vor, die Riesin und der junge Ninurta, zehn Jahre her, ja? –, also, als sie an Bord kam, hat er sie angelächelt und ihre Wange getätschelt und gesagt: ›Willst du, kluge Frau, nicht im gleichen Geschäft bleiben, aber bessere Gewinne machen: als Händlerin?‹ Tja, und seitdem…«
    Tarhunza, lärmende Riesin (Zaqarbal hatte einmal von einem fletschenden, rülpsenden, trampelnden Gebirgswald geträumt und noch im Träumen gewußt, wer das war). Leukippe, die schmächtige Trojanerin, die sich mit Vorliebe in dunkle Gewänder hüllte und düstere Reden über die Zukunft ihrer Heimat hielt (als reinblütig achaische Trojanerin hatte sie von König Priamos, der Rücksichten auf die luwische Mehrheit nehmen mußte, keine Handelserlaubnis erhalten, konnte aber als Händlerin des Fürsten Keleos in Wilusa/Ilios nach Herzenslust feilschen). Minyas der Kreter, mit Goldringen in beiden Ohrmuscheln, Mittelscheitel, kurzem gestutzten Bart und spitzgefeilten Fingernägeln, immer in weiße wallende Gewänder und seine Zurückhaltung gewickelt. Djoser, der Abfassung seiner Erinnerungsgeschichten ergeben, wie jeden Winter, und heillos verloren im Sumpf seiner Empfindungen, seit Tashmetu das dürre Flachland seines Inneren geflutet hatte. Alle umgänglich, alle einfallsreich in der Durchführung: der Durchführung von Vorschlägen, die ihnen gemacht wurden; alle seit Jahren daran gewöhnt, von Ninurta unauffällig in Gang gesetzt zu werden. Wie Zaqarbal selbst – aber Zaqarbal hatte als erster begriffen, daß jemand die anderen anschieben mußte, und er hatte diese Arbeit übernommen. Noch waren die Fahrten und Umsätze des vergangenen Jahres nicht endgültig beraten, schon stritten sie sich um die Reiseziele des kommenden Frühlings…
    Er mußte vor sich hin gemurmelt haben; Kynara ließ seine Hand los und rieb sich die Finger. Seine waren fast taub.
    »Willst du nicht Tashmetu dazuholen?« sagte sie. »Sie wird doch sowieso neue Eignerin.«
    »Sie will noch nicht. Erst im Frühjahr. Aber es wäre gut. Minyas schweigt, Djoser brütet, Tarhunza grölt wie immer,

Weitere Kostenlose Bücher