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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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allem seiner Heldentaten nicht auf so grobe Weise unterbrochen werden dürfen. Er schnalzte mit der Zunge und grinste desorientiert.
       In diesem Augenblick betrat der erste Steuermann, der dem Kapitän, soviel hatte der Knabe beobachtet, gewöhnlich wie ein Schatten folgte, die Messe. Sein kalter Blick strich über die beiden Männer, über die Wodkaflasche, die umgefallen war, und ruhte schließlich mit einem nervösen Flackern auf dem Jungen, der völlig abwesend in einen Winkel des Raumes stierte.
       »Der Herr möchte an Deck kommen«, sagte er zu ihm gewandt, »ich soll dafür sorgen. Die Küste der Türkei ist in Sicht. Wir sind in den Bosporus eingefahren.« Der Knabe drehte sich langsam um. »Also«, der Steuermann machte eine nickende Kopfbewegung in Richtung der Tür. Als der Knabe sich jedoch erhoben hatte und dem Seemann ins Gesicht sah, nahm dieser verlegen seine Mütze ab.
       »Alexeij Sipov. Ich soll nach Ihnen sehen, wenn’s recht ist. Ich mache nur das, was man mir sagt. Aber mein Chef ist Herr Winnizkij.« Der Knabe bemerkte, wie der Steuermann kurz die Fäuste ballte und sein Gesicht sich zu einer furchteinflößenden Maske verzerrte, das Funkeln in seinen Augen, der harte Blick, sie waren ihm vertraut.
       Der Kapitän an Deck begrüßte ihn mit gezwungenem Lächeln. Wortlos reichte er ihm ein Fernglas und zeigte auf mittelalterliche Festungstürme und Mauern, die vom gegenüberliegenden Küstenhang wie Girlanden zum Meer hinabfielen.
       »Dieses Nadelöhr gehört zum Traum von Großrußland, mein Junge. Der Nordwind geht den ganzen Sommer, und die Strömung zieht jedes Schiff wie auf Schienen vom Schwarzen in das Marmararmeer. Deswegen sind dort oben etwa hundert Kanonenrohre auf uns gerichtet und noch einmal soviel von gegenüber. Es sind nur tausend Schritte zwischen den Batterien. Das ist die engste Stelle. Hier kommt man nicht durch, wenn sie nicht wollen. Der Zar wünscht sich dieses Nadelöhr, und die Deutschen wollen sich einkaufen, so wie es die Engländer in Ägypten gemacht haben. Hinter jedem Offiziersfez dort oben steht ein deutscher Ausbilder. Das Reich der Osmanen zerfällt. Die Italiener haben die Türken gerade aus Afrika hinausgejagt, und jetzt werden die Griechen, die Bulgaren, die Serben und die Montenegriner versuchen, sie aus Europa hinauszuwerfen. Aber das sind zu viele Solisten für eine Sinfonie. Es ist eine Zigeunerkapelle . . . Und dann wird es gegen den Habsburger Kaiserkönig gehen, und am Ende werden sich alle in den Haaren liegen. Auch der Zar und sein Cousin, der deutsche Kaiser. Du hast, mein Junge, deine Heimat nicht zu früh verlassen.«
       Aber der Knabe wollte nichts hören vom Krieg und bewunderte statt dessen Paläste und Villen am nördlichen Ufer des Bosporus, die sich von denjenigen, die er in Odessa studiert hatte, unterschieden. Manche der Gebäude mit ihren von Ornamenten und Friesen verschnörkelten Fassaden sahen aus wie orientalische Märchenschlösser, andere ähnelten entfernt den prächtigen Sommerresidenzen, die sich die reichsten Bürger seiner Heimatstadt an den Französischen Boulevard hatten bauen lassen.
       »Sie sollten hier auf Ihre Gesellschaft achten«, sagte der Portugiese dann in förmlichem Ton, ohne den Blick vom vorbeiziehenden Ufer abzuwenden.
       »Ich meine die beiden Herren da unten«, fuhr er widerwillig fort, als wären seine beiden heimlichen Passagiere unter Deck ihm selbst nicht geheuer.
       »Ich will Sie nicht bevormunden, ich fürchte auch nicht um Ihr Seelenheil. Aber gewisse Erinnerungen könnten Sie verfolgen, wenn diese Reise einmal zu Ende ist. Soviel werden Sie bereits gelernt haben: Sie sollten niemandem vertrauen.«
       Dann lachte der Kapitän wieder versöhnlich und legte dem Knaben erneut die Hand auf die Schulter.
       »Machen Sie nur bei mir eine Ausnahme. Ich werde nicht von der Bildfläche verschwinden. Ich will weiterhin im Geschäft bleiben. Ein wenig unauffälliger als jene beiden Herren. Und deswegen kann ich mir es nicht leisten, Herrn Winnizkij zu verärgern.«
       Die beiden Kisten, die man in der Kabine des Jungen verstaut hatte, waren so schwer gewesen, daß sie von jeweils vier Männern getragen werden mußten. Das gewichtige Reisegepäck des Knaben füllte fast seine ganze Kajüte aus, es blieb ihm nur ein schmaler Durchgang, wenn er sich in seine Koje legen wollte. Die Truhen waren mit einfachem geteertem Hanfleinen überzogen, auf das man mit einer Schablone die

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