Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
Vom Netzwerk:
Voronzov-Palastes, nahe bei einer sehr würdevollen Laterne, zündete er sich mit einem schweren Goldfeuerzeug, das die Herzen der beiden Räuber, die ihm schon seit einer Stunde folgten, höher schlagen ließ, eine späte Zigarre an und bog dann zehn Minuten später noch beschwingter wieder auf den Meeresboulevard ein, der Zar Alexanders Namen trug. Dort heftete sich ein Schutzmann, dem dieser betrunkene Flaneur nicht geheuer vorkam, an seine Fersen, etwa hundert Meter weit, bis zum Hotel Londonskaja, dem ersten Haus der Stadt. Der Besucher trat ein in das gedämpfte Licht eines marmornen Tempels und sackte im totenstillen Foyer für einen Augenblick benommen in einen mächtigen Ledersessel. Das Leben kannte nun einmal kein Mitleid mit ihm. Erstickende Gefühle beschwerten seine Brust. Schon morgen, wenn er abreisen würde, wäre der kleine, rote, springende Ball, dem er ein Leben lang folgen wollte, ein weiteres Mal ins Leere gelaufen. Er ging auf sein Zimmer und ließ sich dort gedemütigt ins Bett fallen. So traurig konnte die Poesie dieser Stadt ihre Besucher stimmen.
      
      
       Birnbaum dagegen schenkte den mondänen Verlockungen Odessas nicht viel Beachtung. Am zweiten Tag nach seiner Ankunft in der Moldavanka hatte er jedoch die Neuesten Nachrichten aufgeschlagen und die Plaudereien eines dieser Heiden lesen müssen, eines mittleren Tuchhändlers, der unter ›Geschichten, die das Leben schrieb‹ zu der Geburt seines ersten Sohnes befragt wurde. Der jovial daherschwatzende Birgel Ionossowitsch, dessen Tuchladen in der Schönen Gasse bei den lokalen Schneidern sehr beliebt war, zeigte sich zuversichtlich, was die Zukunft seines Sprößlings anbetraf.
       »Das erste Geräusch aus seinem Mund klang ganz so wie Fankoni «, berichtete der stolze Vater gerührt.
       »Ich glaubte schon, ich dürfe meinen Ohren nicht mehr trauen«, hieß es weiter. Aber als der Sohn das zweite Geräusch von sich gab, »es klang so wie Robina – RO-BI-NA!!!«, war dem welterfahrenen Vater sofort klargeworden, daß sein Sohn »bereits auf dem besten Wege war, ein reicher und angesehener Bürger der Stadt zu werden.«
       Gleichgültig ob Bauer, ob Branntwein- oder Tuchhändler, die Hafenstadt verwirrte den Menschen ohne weiteres die Köpfe. Birnbaum war darauf vorbereitet, und so wunderte es ihn auch nicht, die Geschichte der jungen Dame zu hören, die ihn, der vor seiner Bar-Mizwah nicht nervöser gewesen war, zwei Wochen nach ihrer Genesung in jener Kammer, die inzwischen nicht mehr so kärglich aussah, sondern mit Geschmack wohnlich eingerichtet worden war, empfing. Selbst der Teppich, über den Birnbaum stolperte, als er gezwungen lächelnd auf die Wiege zusteuerte, um dem zweifellos ebenfalls aufgeregten Knaben freundschaftlich seinen Zeigefinger zu reichen, war farblich auf ein Tischdeckchen, die Vorhänge vor den frisch verglasten Scheiben und die Bilder mit nichtssagenden Seelandschaften über der Kommode abgestimmt.
       Birnbaum hätte dem jungen Mädchen gerne verraten, wie oft er für ihre Gesundheit gebetet und wie er dem Arzt die Wange getätschelt hatte, als dieser mitteilte, daß es sich bei der Erkrankung der Patientin nicht um eine Sepsis, sondern um eine ordinäre Erkältung gehandelt habe, die auf eine schwache Konstitution, vor allem aber auf das zerbrochene Fenster zurückzuführen gewesen sei. Aber er schwieg.
       Er hätte der jungen Mutter auch gerne mitgeteilt, daß er mehrmals am Tag nach dem Kleinen gesehen hatte, für den er sich auf eine besondere Weise verantwortlich fühlte. Oder von seiner großen Freude berichtet, darüber, daß es ihm gelungen war, mit Hilfe des schwermütigen Jankels, unter dessen Augen Ringe standen, als wären sie mit Kohle gemalt und dem keine lebendige Frau einen Wunsch abschlagen konnte, ein Kindermädchen zu finden: Deliah Blühstein, die mit fünf Kindern und drei unverheirateten Schwestern nur einen Steinwurf entfernt wohnte, hatte zugesagt, den Knaben mit ausreichend Zuwendung und Milch aus dem schier unerschöpflichen Vorrat ihrer Brüste zu versorgen. Wenn Jankel sich nur bereit erklärte, eine ihrer bereits Fett ansetzenden Schwestern, die wegen geringer Mitgiftaussichten bislang unverheiratet geblieben waren (die Eltern unschuldig verarmt, Deliahs Mann hatte als Schuster nur geringe Einkünfte, man kannte das), wenigstens gelegentlich auszuführen. Gewohnheit, das würde sie in ihrem Herzen wissen, mache doch die Liebe, nicht das Geld, und hierauf

Weitere Kostenlose Bücher