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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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wollte sie in diesem Fall vertrauensvoll setzen. Jankel, den dieser Anschlag auf sein Junggesellenleben in eine tiefe Depression stürzte, weil er erkannte, daß er, noch mit dreißig von den Eltern durchgefüttert, auch als Ehemann für das Leben nicht in Betracht kam, denn wie hätte er – bitte schön – selbst eine Familie ernähren können, Jankel hatte sich vor die drei Schwestern hingeworfen, die aus groben Holzpantoffeln jeweils etwa einen Meter fünfzig in den Himmel gewachsen waren und Abbitte geleistet:
       »Verzeiht mir, das Leben des Jungen ist verwirkt«, stöhnte er, »ich bin nicht fähig, ein Ehemann zu sein. Für das Leben selbst tauge ich nichts, falle nur meinen Eltern zur Last und hoffe auf ein baldiges Ende!« Dann schluchzte er herzzerreißend, hob die Hände zum Himmel empor, dort wo die rosigen Gesichter der Schwestern (eines davon kicherte), reif in der Luft hingen und darauf warteten, gepflückt zu werden, und floh auf die Straße, wo er von einem Hund, dem er auf den Schwanz getreten war, ins Bein gebissen wurde. Er lief und lief, schneller als der schnellste Dieb laufen konnte, und als er endlich den alten Brunnen in der Komiteestraße erreicht hatte, in dem er sich ertränken wollte, stellte er fest: Seine Wade blutete stark, er hatte einen Schuh verloren und der Brunnen war ausgetrocknet und mit Unrat gefüllt.
       In diesem Zustand fand ihn sein Freund Birnbaum, der ihm gemächlich gefolgt war. »Höre, Jankel Salomoniak«, sagte er gutmütig, »du empfindest zu schnell und meistens in die falsche Richtung. Die Menschen können dir kaum folgen. Es wird Zeit, eine Arbeit zu finden, die dich ausfüllt. Am besten etwas Rohes und Körperliches. So beruhigst du deine Nerven. Ich meine es ernst, Jankel, du solltest auf dem Feld arbeiten oder im Steinbruch. Denn dann wirst du dich schon darüber freuen, wenn der Tag zu Ende ist und du dich schlafen legen kannst. Das Leben, Jankel Salomoniak, ist nicht so kompliziert, wie es aussieht.«
       Als der Rabbi fast beiläufig erklärt hatte, daß Deliah Blühstein auch ohne Gegenleistung auf das Kind aufpassen würde, weil es am höchsten Feiertag der Juden, er hatte ihr das mit Nachdruck eingeflüstert, und zwar direkt in die Arme eines Rabbiners hineingeboren worden war, da hätte sich Jankel beinahe eine Sekunde lang gefreut, aber es schließlich doch gelassen, weil er alles insgesamt noch immer sehr traurig fand.
       Auch davon also und von seiner Überredungskunst hätte der Rabbi dem jungen Mädchen, das ihn so offen und freundlich ansah, gerne berichtet. Aber er brachte es nicht fertig, war in diesem Punkt nicht tapferer als Jankel.
       Birnbaum hatte das drückende Gefühl, in dieser Angelegenheit erst am Anfang eines Weges zu stehen, dem er sich noch immer nicht gewachsen fühlte. Er hatte doch so vieles mit sich selbst abzumachen. Wie hätte Birnbaum also ein unbedarftes Mädchen, das ohne Mann und Familie in der Moldavanka wohnte, durch sentimentale Vertraulichkeit zu der Hoffnung verleiten können, hier sicher zu sein oder durch die Verbindung mit einem zermürbten Rabbiner in guten Händen? Das Gegenteil war der Fall, trotz des sauberen Läufers und der farblich abgestimmten Gardinen und Deckchen. Allerdings konnte er auch nicht auf das geschwächte Mädchen zustürzen und Dinge sagen wie: Mein armes Kind, wie konnte es nur soweit kommen, wie sind Sie in diese Lage geraten, dem Tode entronnen, ein Kindlein in eine Welt gesetzt, die robuster und rücksichtsloser ist, als ihm guttun wird. Ein Rabbi, der euch gojische Teufel haßt, ist der einzige Mensch, der vielleicht auf eurer Seite steht. Überlegt also gut, ob ihr auch am richtigen Ort seid oder ob ihr nicht schon morgen fliehen und aus meinem Gesichtskreis verschwinden solltet!
       »Rabäh!« krähte der Knabe wieder, und der Rabbi setzte sich auf einen Stuhl mit einem farblich abgestimmten Kissen. Er würde also herausfinden müssen, was ihn mehr erschöpfte, die Visionen seiner bisherigen und wohl auch zukünftigen Unzulänglichkeit oder die Herausforderung, mit einem freundlichen jungen Mädchen ein freundliches Gespräch zu führen, zwei Menschenkinder willkommen zu heißen in der Stummstraße Nummer 9.
       Ja, das war es, was ihm aufgefallen war, als er das Bündel unter dem Bett hervorgezogen hatte! Der erste Laut aus dem Munde des Knaben. Er klang nicht anders als der aller Babys (mit Ausnahme des Säuglings von Ionossowitsch). Keines der vielen Kinder, die

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