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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Wunsch ihrer Eltern. Sie habe unabhängig sein wollen. Der Rabbi vermutete zu Recht, daß die Tochter vor einer drohenden Verheiratung geflohen war. Der Vater, in der Moldavanka war das oft nicht anders, hatte sich entlasten wollen. Es konnte teuer werden, eine Tochter nicht rechtzeitig aus dem Haus zu bekommen. Birnbaum machte ein vergnügtes Gesicht, als er von den Wünschen der Eltern hörte, und hatte damit sofort wieder den Stolz Lisas herausgefordert. Es sei so gewesen, erklärte sie ihm, wie es leider noch viel zu häufig geschehe, die Mitgift, die der Vater hatte bieten können, habe nur für Kandidaten gereicht, für die sich selbst die eigenen Eltern geschämt hatten.
       Birnbaum setzte sofort wieder eine würdige Miene auf, denn der Punkt des Gespräches, an dem Lisa ihre Beichte wohl noch schwerer fallen würde, stand möglicherweise kurz bevor. Er wollte sie durch unangemessene Heiterkeit nicht verärgern.
       »Ich wollte nicht heiraten. Nicht unter diesen Bedingungen und nicht diese Männer.«
       Birnbaum hätte Lisa, um das Gespräch aufzulockern, gerne ein paar der Witze, die er kannte, erzählt, über Paare, die aus Liebe geheiratet hatten. Aber er unterließ es, er wußte, daß Lisa im Grunde recht hatte. Über die jüdischen Ehen, die Heiratsvermittler und auf Sicherheit und Familienehre bedachte Eltern gestiftet hatten, gab es allerdings keine Witze, sie waren der Alltag, und der kam Birnbaum selbst nur allzuoft grau und unbefriedigend vor. Er mußte dazu nur an manche Verbindungen in der Nachbarschaft denken.
       Der Rabbi wollte die junge Mutter nicht noch weiter reizen, und welchen Grund hatte gerade er, irgendeinen Gojim-Vater zu verteidigen?
       »Ich habe als Schneiderin gearbeitet und bald ein eigenes Zimmer im Alexanderviertel bezogen, denn auch meine Tante gab keine Ruhe. Ich arbeitete zunächst für Madame Valéry, eine Modistin in der Schönen Gasse. Eines Tages lernten wir uns persönlich kennen. Sie machte mir Komplimente und fragte mich, ob ich nicht in ihrem Geschäft arbeiten wollte.
       Kunden sollte ich beraten . . .«
       Madame Valéry war selbst dem Rabbi ein Begriff. Natürlich nur aus der Zeitung. Bei ihr ließen sich die reichsten Odessaer Bürger einkleiden. Frauen als auch Männer, das war neu. Ihr Name stand für Qualität, vornehmen Geschmack und höchste Preise. Ein Kleid oder ein Anzug (dieser entstand unter der Aufsicht von Madames unscheinbarem Ehemann) der Firma Valéry, das war so wie Curaçao-Likör von Schwarzzahl, Champagner von Roederer, Maccaroni von Piccinelli oder erfrischender Kwass von Langadas. Man kannte diese talentierten Zulieferer des Luxus über die Grenzen der Stadt hinaus, sie waren ein Begriff, der unabhängig von den Produkten selbst schon für Qualität bürgte.
       Birnbaum konnte sich gut vorstellen, weshalb die geschäftstüchtige Valéry ein so hübsches Mädchen wie Lisa lieber in ihrem Laden sah als zu Hause an der Nähmaschine. Wen störte es, ob eine Schneiderin runzlig oder zahnlos war oder dumm wie ein Schiffsjunge? Sie behelligten den Kunden nicht, der Vorrat an ihnen war unerschöpflich, sie arbeiteten in Hinterstuben oder in den eigenen vier Wänden, und niemand sah einem feinen Anzug an, wer ihn genäht hatte. Aber die Herren mit Monokel, goldenen Manschetten und gewichstem Schnurrbart, die schon zum Frühstück Champagner tranken, die Mitglieder im vornehmen Aero-Club der Stadt waren und in deren Fabriken ein Heer von Arbeitssklaven den sündigen Reichtum mehrte, besonders aber die Söhne dieser Gentlemen waren sicherlich erfreut, wenn nicht eine feiste Matrone beim Schneider die Honneurs machte, sondern ein bildhübsches Mädchen, das pikanterweise gesellschaftlich so weit unter ihnen stand.
       Der Rabbi zeichnete in Gedanken diese Bilder von dramatischer Abgeschmacktheit, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß ein vor der elterlichen Heiratsvermittlung geflohenes Mädchen einen praktischen Begriff von ehelichen Bindungen haben konnte. So sehr er auch mitfühlte. Jemand, dessen Handwerk die Herstellung von Larven war! Seine Phantasien waren wieder einmal sehr eigenwillig. Dabei wünschte er sich doch, es möge eine achtbare Erklärung für Lisas Lage geben. So sehr, wie er sich gewünscht hatte, daß die unbekannte Frau mit Schleier und Handschuhen keine Verbrecherin sei. Aber mußte so ein Mädchen wie Lisa nicht verführbar sein? Mußte es die Verführer nicht geradezu herausfordern? Alles in dieser

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