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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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Stadt war darauf angelegt, Menschen zu verderben, in Chichelnik, dem Dorf, in dem er geboren wurde und bis zu seinem zweiundsechzigsten Jahr gelebt hatte, galt ein Mensch als ›gut angezogen‹, wenn seine Kleidung sauber war.
       »Geheiratet habe ich dann aus einer Notlage heraus«, sagte Lisa abrupt in einem fast trotzigen Ton, sie hatte es nicht für nötig gehalten, ihre Laufbahn bei Madame Valéry sehr ausführlich zu schildern.
       »Verstehe«, sagte der Rabbi knapp, um dem Mädchen nicht das Gefühl zu geben, er sei neugierig. Sie sah ihm jedoch ins Gesicht und erkannte, daß er keineswegs verstand, sondern ohnehin erwartete, nicht alles und nicht die Wahrheit zu erfahren. Und der Ton, in dem der alte Mann sprach, war der nicht ähnlich herablassend wie derjenige all der Menschen, wegen derer sie am Ende unglücklich geheiratet hatte?
       Sie wurde zornig.
       »Aber diesen Mann liebten Sie wohl sehr?« fragte der Rabbi in das angespannte Schweigen hinein.
       »Ich wäre wohl nicht hier, verhielte es sich so«, erwiderte sie aufgebracht. Birnbaum erschrak, es war ihm nicht bewußt, etwas Falsches gesagt zu haben. Hatte er denn etwas überhört? Aus einer Notlage heraus – also wegen des Kindes, aber dann muß sie ihn doch um so mehr geliebt haben, dachte der Rabbi.
       »Er hat Sie verlassen, ja, aber Sie werden ihn doch einmal geliebt haben, das müssen Sie doch . . .« Birnbaum registrierte den Blick des Mädchens, der kühl und sogar belustigt wirkte, was der Rabbi angesichts der Zusammenhänge des Falles etwas unfein fand.
       »Es war eine Notlage, wie ich Ihnen sagte. Und zum ersten Mal habe ich mich an das gehalten, was mir, ohne daß ich darum gebeten habe, immer wieder gepredigt worden war. Meine Mitgift, die habe ich selbst bezahlt. Aber alles war falsch. Es war der falsche Mann. Aber einen Besseren habe ich nicht finden können.«
       Birnbaum sah ein, er hatte nicht das Recht, weitere Erklärungen über diese seltsame Heirat zu verlangen. Er war nicht gekommen, um sich zu streiten. Er wollte dem Mädchen nicht von Prinzipien erzählen, von denen er nur vermutet hatte, daß es auch ihre eigenen waren. Liebe mochte ganz anders aussehen in den Augen eines eigensinnigen jungen Mädchens als in denjenigen eines altmodischen Rabbiners. Birnbaum war sich jedoch sicher: Lisa war selbst nicht in der Lage, diesem Wort einen Sinn zu geben. Der Rabbi glaubte, Lisa habe sich womöglich mit Absicht für eine unglückliche Beziehung entschieden, ja sogar ihre Mitgift selber bezahlt, nur, um die verachteten Wünsche der Eltern auf die denkbar lächerlichste Weise zu erfüllen und damit zu zeigen, wie falsch diese Wünsche waren. Aber natürlich bestrafte sie damit nur sich selbst.
       »Warum quälen Sie sich?« fragte Birnbaum. Es war ihm nur so herausgerutscht. Aber genau das war es, was er wissen wollte. »Warum sitzen Sie unter einem zerstörten Dach, an einem Ort, der keine Heimat für Sie sein kann? Sie sind verlassen worden, aber das ist doch kein Grund, sich zu verstecken. Für das Kind kann gesorgt werden. Und wenn man dort über Sie redet, so verlassen Sie einfach das Geschäft der Madame Joubert. Arbeiten Sie wieder zu Hause. Der Junge sollte einen Vater haben, gewiß, aber es ist doch nicht ausgeschlossen, daß . . .«
       Hier unterbrach sie seine Litanei. In ihren Augen war es feucht geworden. Lisa hatte Birnbaum trotz seiner Ungeschicktheit nur allzugut verstanden. Sie machte aber keine Anstalten, das zuzugeben. Um ihre Lippen lag wieder dieser spöttische Zug, der den Rabbiner fast glauben ließ, er müsse das Mädchen in einem gänzlich anderen Licht sehen.
       »Mein Mann hat mich nicht verlassen. Ich bin vor ihm geflohen. Er sucht mich, und findet er mich, dann kann es sein, daß er mich tötet.«
       Der Rabbi sah das Mädchen entsetzt an. Dieses Geständnis kam ihm unglaublich vor. Es paßte nicht zu dem Bild, das er von der jungen Mutter haben wollte. Sie würde sich doch nicht an einen Mann gebunden, von einem Mann ein Kind empfangen haben, der sie mißhandelte oder sogar bedrohte. Sie war kein ungebildetes einfaches Mädchen, das sich einem Grobian in Gamaschen an den Hals warf. Einem Verführer, der sich dann als Teufel entpuppte. Haben Frauen nicht diesen Instinkt, wenn sie sich einem Mann hingeben? Und das unschuldige Kind selbst, Birnbaum konnte nicht glauben, daß es von einem Monstrum gezeugt worden war. Der Rabbi schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht

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