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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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noch erlebt haben, daß man mit Haut und Haaren einem anderen gehören kann, denn so war es früher einmal, solche Menschen sind kein Vorbild für einen, der schon in Freiheit geboren ist. Ich habe es besser, dachte ich, weil ich klüger bin. Und siehst du, Jingele, auch du hast keine Eltern mehr. Hast aber ein paar Freunde und hast den Japonchik, den König über dir, so wie ich, und fragst dich, wann wird es im Leben einmal um mich, wann nach meiner Pfeife gehen? Wann kann ich aussuchen und haben, was mir gefällt, wann? Wenn wir eine Antwort auf diese Frage haben wollen, dann müssen wir zu Mischka gehen, und so, wie er entscheidet, so wird es ausgehen. Aber sind meine Eltern in diesem Punkt dann nicht doch weiter als ich? – Oder bin ich nur zu feige, und ist deswegen Mischka mein Herr und ich sein Knecht? Du bist ein Kind, und da ist es natürlich, wenn man gehorcht, auch wenn es nicht aus Liebe ist, mir mußt du jedenfalls nicht gehorchen, und wenn ich dich etwas frage, wie jetzt, dann ist es in Wirklichkeit Mischka, der etwas wissen will, denn so ist es, wenn man unfrei ist.
       Du weißt, die Unterwelt gehört den Räubern, aber nicht so wie die Stadt. Selbst ausgewachsene Kerle werden da unten schwach, denn dort gibt es keine Herrschaft, keine Macht und keine Zeit. Es ist wie ein Vorgeschmack auf den Tod oder lebendig begraben zu sein. Die Räuber verstecken dort ihre Beute. Aber es bleibt ein Reich für sich. Sie kennen es nicht und wollen es nicht kennenlernen. Selbst Mischka nicht, denn es reicht doch, wenn jeder sich fürchtet. Und dann kommst du und läufst vier Tage lang unter der Stadt hindurch, um Mischka in seinem Haus zu besuchen, während er gerade vor dem Kamin sitzt und einem Polizisten die Augen aussticht. Bist du vielleicht der Teufel? Oder bist du eine der vielen Seelen, die Mischka auf dem Gewissen hat? Eine, die aus der Unterwelt zu ihm aufsteigt, direkt in sein Haus, um ihm zu zeigen, daß es auch ihn treffen wird, daß er nicht sicher ist, sowenig wie seine Besitztümer, das ganze gestohlene Gold? Muß er dich töten oder beschützen? Wird er vielleicht nur so lange leben, wie es dir gutgeht, ist er noch sicher und wie lange? Das möchte er wissen von dir, und deswegen schickt er mich, einen Freund, um herauszufinden, warum es dieses Wunder gegeben hat. Warum, nachdem tausend Juden erschlagen und tausend Häuser verbrannt worden sind in der Moldavanka, unter dem Hause ihres Königs ein blonder Knabe aufsteigt, der seine ermordete Mutter sucht.«
       »Ich weiß«, sagte Theo leise, aber Zipperstein hörte ihm noch immer nicht zu.
       »Siehst du, das ist es, was Mischka von dir wissen will, und zufällig – zufällig hängt mein Leben davon ab.«
      
       Als sie die Mjasojedovstraße erreicht hatten, waren auch letzte Mutreserven verbraucht. Der Dieb streckte den im Feiertagshut versteckten Kopf um die Ecke und sah neben den üblichen Nachtschwärmern, die vor Lokalen und Hauseingängen herumlungerten, auch den mit bunten Lichterketten geschmückten Elefanten umlagert, mißtraute den vor dem Lokal auf Gelegenheiten Wartenden, bemerkte zu viele Schatten in zu vielen Hauseingängen, um seinen Schutzbefohlenen bis zum Hintereingang des Kinos zu begleiten. Dort sollte, von keiner Lichtquelle mehr behelligt, ein Klopfzeichen, das der Polizei nicht bekannt war, durch eine mehrfach gesicherte Tür in ein Treppenhaus führen, welches von einer Galerie überblickt wurde, auf der an Tischen bewaffnete Männer, die der Polizei allerdings gut bekannt waren, beim Kartenspiel saßen. Die Gefahr lauerte. Keinen Schritt wollte Zipperstein weitertun. Er wußte, daß die Hälfte selbst der späten Fußgänger, offiziell oder um Ecken herum, für das Unternehmen des Japanerchens tätig war, und erwartete, wenn nicht Schlimmeres, wenigstens Verfolgung und ein Ausspähen seiner Fluchtroute. Das alles brauchte er Theo nicht zu erklären. Der Junge hatte selbst die Erfahrung gemacht, beobachtet zu werden, ohne daß dabei feine Anzüge oder seine weißblonde Erscheinung noch eine Rolle spielten. Die Fürsorge, die ihm Japonchik gewährte, hing ihm wie ein Schild um den Hals. Er war Eigentum von Mischka, Berührung untersagt, bei Verlust gegen gute Belohnung zurückzugeben. Eine Antwort auf die Frage, die Zipperstein im Auftrag seines Brotherren gestellt hatte, war Theo schuldig geblieben. Nicht aus Herzlosigkeit, sondern weil er es mit dem Beantworten wichtiger Fragen sehr genau nahm und ihm erst

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