Trojaspiel
der Zeit und für immer geraubt.
›Manka, die Kosakin . . .‹, schloß Mischka spöttisch. Er stellte für sich fest, das menschlich Lachhafte könne auch Ursprung einer gewissen, echt russischen Größe sein, und fand, er selbst habe vielleicht an den tragischen oder von ihm als tragisch empfundenen Momenten des eigenen Lebens noch zu arbeiten. Der König nahm es sich vor und hatte wieder Augen für Theo, dessen Gesicht so bleich und großväterlich und stumm, so bedrückt aussah, daß der Räuber beschloß, keinen der zahlreichen Witze, die ihm durch den Kopf gingen, anzubieten und sich still zurückzuziehen.
Für Manka war Theo immer noch ein Augenstern, zart und verlockend, sie machte keinen Hehl daraus, weil auch ihre Freundin es nicht tat, gab sich aber so, als wäre ihr Theo ganz neu und eben nur so ein Knäblein, auf das ein Mädchen, wenn es sich traute, nun einmal einen Blick werfen dürfe.
Da klang es, als wäre Theo ein Teller mit Konfekt und nicht mehr ›anders‹. Da konnte man denken, daß Manka als Kosakin die Unterscheidung zwischen Zuckerwaren und einem Jungen, der ›anders‹ war, ganz aufgegeben und das oben erwähnte Geheimnis aller Liebenden verraten hatte, vielleicht mutwillig oder weil der Genuß, den Pralinen boten, begrenzt war, begrenzt sein mußte – weil er satt machte.
Theo, der noch gar nicht wußte, wer er oder was er selbst war, den aber der mangelnde Kontrast zwischen Mankas Schicksal und seinem Bild von ihr beschäftigte, er verstand die veränderte Manka mit einem Blick und konnte sich nur wie immer nicht erklären, was es zu bedeuten hatte. Theo verweigerte seine Anteilnahme nicht, hing mit Augen und Gedanken an Manka, ließ sich durch Mischkas Gesellschaft und die Fürsorge der Madame Rubinov nicht mehr zufriedenstellen. Er war kurz davor, für einen längeren Urlaub in die Unterwelt abzutauchen, nur um sich in einem strengeren Klima von dieser Krankheit, die in der Mythologie der Antike einer Herzverwundung durch Pfeilschuß zugeschrieben wurde, kurieren zu lassen.
Doch Manka griff an wie eine Kosakin und machte seinem Zögern ein Ende.
Es war gegen zwei oder drei Uhr morgens. Er hatte spät arbeitend Mischkas Tür nicht verschlossen, die Lampe auf seinem Schreibtisch brannte noch. Jemand hatte getrunken, leise geklopft und dann einsam, aber entschlossen den Weg gefunden an das Bett des großen Räubers, auf dem der Knabe ruhte.
Es war ein Kitzeln oberhalb seiner Schläfe, das sich im Traum als jenes kalte Rieseln tarnte, welches in dem konstant zehn Grad kühlen, aber regennassen Klima des Gewölbes über den Körper kroch. Er verglich es gerne mit der ungewollten Berührung durch eine kalte, zudringliche Hand, die für die Neugierde der Geister unter Tage stand und für ihren Versuch, den, der sie besuchen kam, für immer festzuhalten. Aber dieses Kitzeln wollte nicht kühl bleiben. Es wanderte über sein Gesicht und seinen Hals, näherte sich Knöpfe öffnend seiner Brust, wo es Figuren malend, Kreise ziehend sich warm ausbreitete, bis er die Augen öffnete und eine Hand fühlte. Er sah Manka, angenehm verschmolzen mit den Schatten des Raumes. Sprachlos blieben beide, hatten kein Bedürfnis nach Worten, denn ihre Begegnung hatte sich in einen Traum eingeschlichen, hatte einen Traum abgelöst und wollte in ihrer Ruhe nicht gestört werden. Das Pochen in seiner Brust, das Mankas Handflächen einfangen wollten, die Finger, die über ihre Hand huschten, etwas verlegen, noch nachtblind, grundsätzlich aber bereit, ließen die Kosakin wieder an ihr Konfekt denken, Scheu empfinden, alle Bangigkeit unterdrücken, bis ihre Stimme: »Faß meine Brust an« sagte. Wie rauh das klang, wie zart des Knaben Weigerung und wie gering der Widerstand war, den seine Hand bot, als sie ihn führte, zu ihm kam, über ihn gebeugt, dann auf ihm ruhend, ihre Stirn, ihre Nase und ihre Lippen an sein Porzellangesicht drückte, überwältigte und selber überwältig war, warum strahlt deine Haut warum glänzt dein Haar warum duftest du wie ein Vögelchen . Sie bekam keine Antworten, weil Theo den Gebrauch der Worte für alle Zeiten verlernen wollte, Stimmungen gewidmet war, die nie satt machen und in keinen Spiegel sehen sollten: der Kuß, der lang war und tief, nach dunklem Tabak schmeckte und nach etwas, von dem er annahm, von dem er glaubte – von dem er sicher wußte, daß es die Liebe war, ihr Kopf, der über seinem Becken sank, dort, wo sie etwas
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