Trojaspiel
Mittelpunkt dieser illustren Versammlung gerückt. »Du betrügst mich doch, du Hund!« (Ein Spitzenhandschuh flog, landete auf einer schneller sich hebenden Männerbrust.)
»Die Artistin aus Lorbeerbaums Menagerie, die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Ach – wenn ich dich nur nicht so lieben würde!«
Eine ältere Dame rief »Bravo!«, um gleich darauf zu erröten und ihre Erregung hinter einem lächerlichen Fächer zu verbergen. Manka schluchzte und heulte, stampfte mit den Füßen, schickte Blicke, suchte Beistand, fand ihn wieder bei der älteren Dame, der ein kräftiges Schlückchen Likör den richtigen Weg gewiesen hatte: Sie schüttelte empört den Kopf, warf ihn jugendliches Profil erzeugend in den Nacken, deutete das Hinhalten des Fächers wohl nur an, wurde aber sofort verstanden. Herren, die sich keiner Schuld bewußt waren, drückten Zustimmung aus, als Manka, leichte Hiebe mit dem geborgten Fächer andeutend, den Tisch des rosigen Herrn umrundete. Dieser stand auf, verneigte sich, knöpfte sein Jackett in Form und wollte Zuflucht im Lokal suchen.
»Gibst mich der Schande preis, daß alle Zeuge sind, willst mich wohl verlassen – Du! Aber du wirst mir nicht auskommen. Kennenlernen sollst du deine Veroschka!«
Es stolperte der dickliche junge Herr, zärtliche Hiebe empfangend, verfolgt von Manka durch das Lokal, ein anwesender Journalist machte sich bereits Notizen, Damen klatschten euphorisch, Herren lachten, die Daumen in ihre Westen eingehakt. Lang, aber nicht lang genug, ging es, bis das romantische Duett, Manka hatte mit kaum hörbarem Flüstern darum gebeten, vor Blicken geschützt auf der Straße fortgesetzt wurde. Mit Erstaunen stellte Theo fest, wie gelenkig, wie vielarmig sich Manka dem Fremden liebevoll verbittert an den Hals warf, denn ihre Hände waren überall, lösten jetzt Leidenschaft, fast Tränen auch bei dem rosigen Herrn aus. Die Umarmung wurde inniger, Mankas Tasche fiel, der Kavalier bückte sich, die Umarmung wurde fortgesetzt, immer wieder wollte der erregte junge Herr schon mit dem Gesicht unter den Schleier vordringen, sicherlich, um zu trösten, als Manka ihre Tasche öffnete, dann den Schleier selber löste, um eine Brille aufzusetzen und einen gedemütigten Schrei auszustoßen. Theo sah Krasnoglaz an, der Manka schon früher bewundert hatte und jetzt lächelnd anerkennend mit dem Auge zwinkerte.
»Du – mein Dima, bist ja gar nicht du. Oh!«
Eine Ohnmacht drohte, galant stützte deswegen der Kavalier die Taille der Schönen, war trotzdem erleichtert, hatte schon selbst an seine Verworfenheit glauben wollen.
»Welche Schande . . .!« hauchte es aus dem Schleier, die Spitzen ihres Handschuhs berührend führte der junge Herr das verwirrte Mädchen noch zur Droschke, entschuldigte, bedankte, empfahl sich, war selbst zu benommen, um sich über den Einäugigen und einen vornehmen Knaben zu wundern, die das schon rollende Gefährt kaperten und neben dem verstörten Mädchen in die Polster sanken.
Obgleich es Theo guttat, Manka nach solchen und ähnlichen Abenteuern wild, fast furienhaft lachen zu hören, erschreckte ihn doch ihr leidenschaftlich verzerrtes Kosakengesicht, mochte es auch im Privaten von Liebe zu ihm erfüllt sein. Es erschreckte ihn auch, wie Manka, als sei ein gewöhnliches Geschäft zum Abschluß gekommen, ganz ungeniert die großen Scheine vorzählte, so wie damals ihr Petrov/Wassilev im Café. Er litt, wollte nicht wieder leiden, sondern wieder helfen, und beschloß, als Bulanovs Nachfolger, Mischka um ein regelmäßiges Gehalt zu bitten, endlich Farbe zu bekennen und Manka durch seiner Arbeit Lohn und Brot wieder den Parfümhandel und die Abendschule zu ermöglichen. Mischka war einverstanden, das aber war nicht die Hauptsache, die Kosakin verspottete ihn, die Kosakin lachte ihn aus. Aber Manka wurde schließlich nachdenklich, Manka stimmte zu. Theo, fand Mischka später, wurde für ein paar Wochen zu einem Achilles, zu einem Mann, einem Kollegen, und doch war alles längst zu spät . . .
Das südrussische Frühjahr 1913 war nach zu unwirtlichem Wetter, nach zu lange über den Winter ausgedehntem Frost, nach ungewöhnlichen Schneefällen noch im März endlich milde geworden. Dieses Jahr, das noch manche Überraschung bereithalten sollte, hatte endlich begonnen. Man saß, in die Sonne zwinkernd, wieder auf der Terrasse des Robina , flanierte gemächlich über die Deribasstraße,
Weitere Kostenlose Bücher