Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
Vom Netzwerk:
schon wogende Mjasojedovstraße.
       Aber Mischkas Tat sollte keine Volksweise werden. Taugte nicht für ein Couplet. Hatte nicht das Zeug zu einem Gassenhauer.
       Der Zufall wollte es, daß Icko, mit feuchten Augen und durchnäßter Hose, Theo in die Arme lief. Krasnoglaz konnte seinen Schützling nicht daran hindern, den Schankraum des Monte Carlo aufzusuchen.
       Theo fand nichts vor, was man wie ein Gerücht, einen Zeitungsartikel, wie üble Nachrede verdrängen oder leugnen konnte. Er hatte diese Art von Schlaf zuletzt bezeugen müssen, als er die Unterwelt verlassen und in die Hölle des Pogroms geraten war. So sah also die Arbeit des Japanerchens, so sah der blutige Inhalt seiner Kassenbücher aus. Theo erbrach sich, fiel in Bewußtlosigkeit, sank auf den Boden, wurde von Krasnoglaz dafür nicht ausgelacht, sondern aufgehoben, gesäubert und nach Hause getragen.
       Dort bewachten Manka und Madame Rubinov das Bett des Knaben, und nur Manka ahnte, daß Theo, der wieder schreiend aufwachte und dem kein Lächeln mehr gelang, auch in ihr und der Ersatzmutter grauenvolle Dämonen wie den Nachtschreck, Handlanger des Königs Japonchiks, sah.
       Nur Mischka erschien nicht.
       Als Theo ihn mit der Hilfe des Rotäugigen aufsuchte, wie ein Sterbenskranker, der sich ins Hospital bemüht, Vergänglichkeit im Auge und Teig in den Knien, saß der Räuber beim Kartenspiel.
       Da war vielleicht der Funke einer Hoffnung, daß alles auf Verwechslung oder Halluzination beruhe.
       Aber Mischka bestätigte nur, was nicht zu leugnen war.
       »Ja«, sagte die Stentorstimme »sie sind tot. Faivel Goldberg hat sie zerlegt, und tranchiert schwimmen sie vor der Küste. Aber die Welt wird nicht zu bewegen sein, das als großes Unglück anzusehen.«
      
       Manka zog nicht an seinen Haaren, prügelte ihn nicht, wurde nicht um Aufmerksamkeit bemüht hysterisch, weil ihr Freund so abweisend abwesend war, sich nicht mitteilen wollte und mit einem dumpfen Groll, der seine blauen Augen irgendwie einfältig wirken ließ, vor sich hin starrte. Theo, spürte sie, hatte sich auf eine Reise begeben, hatte sich in seinen Kern zurückgezogen, um zu erforschen, was noch ihm und was bereits Japonchik gehörte, was von dem Jungen, dem der Hungertod eines Hundes nächtelang den Schlaf geraubt hatte, noch übriggeblieben war.
       Manka fürchtete sich vor dem Ende dieser Überlegungen. Wollte nicht zu Japonchik und seinesgleichen gerechnet, künftig von diesem seiner Arbeit nicht gewachsenen Jungen verabscheut werden. Seitdem sie dem wohltätigen Asyl für Straßenkinder entflohen war, das der Kosakin in der prägenden Phase ihres Lebens ein dürftiges Zuhause geboten hatte, war Mankas Wunsch gewesen, nicht nur eine eigene Familie, eigene Geschwister zu haben, sondern jemanden an ihrer Seite zu wissen, der besser war als sie selbst. Der einer gesunden, von Gerissenheit und Heimtücke freien Sphäre angehörte, die es ohne Zweifel geben mußte. Entweder dort oben zwischen den höchsten Wolken oder hinter den weißen, Sehnsucht auslösenden Gardinen der reichen Patrizierhäuser. Und alles, was es im Himmel und hinter den Gardinen nicht gab, konnte nur in einer Menschenbrust liegen. Ein Herz, in dem etwas wohnte, was Manka vertraut, was ganz ohne Absicht liebenswert war und das sie, ohne eine Erklärung dafür zu besitzen, bis zu ihrem Tod nicht mehr verlieren wollte – so ein Herz besaß Theo.
       Das war es, was sie in seiner Nähe fühlte, und auch wenn sie seine Haut berührte, sich an ihn schmiegte, gab es nichts anderes als dieses Herz, das sie suchte.
       Manka litt und wollte nicht leiden, hätte lieber noch drei Petrovs ertragen als Theo, der nicht mit ihr sprach oder zusammenhanglos redete, der sie ansah, als wäre sie mitschuldig an dem Verhängnis, dessen Bücher er führte. Theo wollte ihre Berührungen nicht dulden, murmelte etwas von Gründen, die dafür nicht vorhanden wären, wollte auch Madame Rubinovs Zärtlichkeiten nicht ertragen, sah an ihrer Schürze – das Blut, sah an Mankas Seidentuch und Wangen – das Blut, sah an den eigenen Händen – das Blut, das den Boden des Monte Carlo färbte. Er hatte den lieben Birnbaum vor Augen, der prophetisch seine Hände inspiziert hatte, der ihm jetzt freundliche Briefe schrieb, als wäre er, Theo, immer noch ein braver, gerechter, Ehrfurcht vor dem Leben empfindender Knabe.›Japonchik schneidet Kindern die Ohren ab!‹ hatte Birnbaum geschrien und war von Theo

Weitere Kostenlose Bücher