Trojaspiel
ihrerseits ein wenig mehr Sinn für ›persönliche Freiheit‹ zu entwickeln. Er riet, allerdings nicht uneigennützig, häufiger auszugehen, sich mit Gleichaltrigen zu treffen und den Sohn bei der jamaikanischen Nachbarin Penny zu parken, weil unter ihrem halben Dutzend Blagen der kleine Matt nicht weiter auffallen würde.
»Du bist zu jung, um auf all das zu verzichten.« (Was, fragte sie nicht).
Weiterhin empfahl er ihr, sich figurbetonter zu kleiden, das Idealmaß ihres Körpers sei nicht da, um versteckt zu werden. Und tatsächlich hatte der müde Zack, ein periodisch ausgelaugter Womanizer, der sich bei der Wahl seines Lieblingsidols nicht zwischen Malcolm X und Shaft entscheiden konnte, seine unausgesprochene Freude daran, wenn sein Mädchen, das sozusagen direkt aus dem Gospelchor der Concord Baptist Church in Bedford-Stuyvesant, aus dem Schoß einer behütenden Familie und selbstverständlich als Jungfrau in sein Bett gefallen war, nun im gelben Stretch-Mini und rosa Tanktop mit ihren Freunden ausging.
›Das ist die scheißmoderne Welt‹, dachte er, wenn sie mit diesem Duft einer nicht ausgelebten Verruchtheit frühmorgens vor ihm stand, ein leichtes Schimmern von Stolz in den Augen, den sie von ihm nur geborgt hatte, bis er grob ihre Kleider herunterriß und sie dann nahm, mit einer Euphorie, die das einförmige Eheleben lange nicht mehr gekannt hatte. Vielleicht suchte er sogar nach den Malen und Zeichen der Lust an ihr, derjenigen, die sie mit einem anderen geteilt hätte, nur um die Pflanze, die er zum Blühen gebracht hatte, endlich geknickt zu sehen, um die tatsächliche Freiheit für seine nächsten Eskapaden zu besitzen, oder vielleicht auch, um sie zu bestrafen, denn so würden sich weitere Höhepunkte finden lassen – er wußte es nicht genau . . .
Der Bericht des Professors damals im Park ging nahtlos in den zweiten Teil über, die Post-Louisa-Epoche. Zack fand eine Stelle als Hausmeister in einer besseren Wohngegend, arbeitete unermüdlich und hatte trotzdem Zeit für seine Familie, die in das Appartementhaus, das er zu betreuen hatte, eingezogen war. Es lag am Forrest Park in Queens, also genau in der Gegend, in der Louisa als Kind gespielt und die sie selbst immer als Ort der glücklichsten Zeit ihres Lebens beschrieben hatte. Zack besuchte sonntags die Kirche, hatte sogar herausgefunden, wo seine Mutter begraben lag (sein Vater war auf der Wanderschaft verstorben), und begann das schlichte Grab auf dem Soundso-Friedhof mit regelmäßigen Besuchen zu beehren. Zacks Schwester konnte mit seiner Unterstützung das Entzugsprogramm in einer städtisch geförderten Einrichtung in Bushwick erfolgreich absolvieren und durch die Hilfe ihres Bruders eine Anstellung in einem Blumenladen am Queens Boulevard finden (Blumen waren, solange wie die Erinnerung Zacks zurückreichte, etwas gewesen, was seiner Schwester immer Freude gemacht hatte). Matt las schon mit vier Jahren, Fernsehen langweilte ihn, und wenn er seines Vaters Schritte im Treppenhaus hörte, versteckte er sich hinter der Tür, um ihn anschließend mit lautem Indianergeheul zu begrüßen. Übers ganze Gesicht strahlte er dabei und breitete die Arme aus, damit sein Vater ihn hochheben und an seine Brust drükken konnte.
»Genauso sah das Paradies aus«, sagte der Professor damals,
»in dieser Zeit paßte das Unglück der ganzen Welt in einen Fingerhut.«
Tatsächlich hatte sich damals auch der Park um ihn herum verwandelt. Der zweite Teil seiner Erzählung hatte den Lärm der Straße zurückgedrängt. Passanten blieben stehen, diesmal hatten sie gelauscht, weil die Stimme des Professors den salbungsvollen Ton eines gutmütigen Predigers angenommen hatte, man ahnte die Verführungskraft der Märchen aller Zeiten, wenn man dem älteren Ehepaar, der jungen Mutter dort, dem Typen mit Lederjacke und Scholl-Sandaletten in die schmunzelnden Gesichter sah.
»Dann, eines Tages«, ging das Märchen weiter, »und ich möchte betonen, daß es der glücklichste Tag in meinem Leben war, denn ich lief nicht über den grauen Asphalt, sondern direkt über die Wolken zu dem Kindergarten, in dem der kleine Matt darauf wartete, von seinem Vater abgeholt zu werden. – Ich war der Sonne so nah, wie ihr alle es sein wollt, der Erleuchtung meinetwegen oder dieser Wärme, die niemals aufhört. Und ich komme also in diesem Kindergarten an und sehe den kleinen Matt und nehme seine Hand und will ihn direkt hoch auf die
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