Trojaspiel
niemanden heilen, und ich bin sowieso ein hoffnungsloser Fall. Auch bei uns treffen sich im Park gewisse Gesellschaftsschichten sogar tagsüber, und, ich erwähnte es bereits, Toleranz ist in dieser Stadt mentalitätsbedingt nur schwach ausgeprägt, gilt eher als Charaktermangel. Eine leere Bierdose fliegt in unsere Richtung, Jugendliche mit geschorenen Köpfen versuchen die Langeweile des Nachmittags zu vertreiben. Meinetwegen, denke ich und will schon gehen. Zacharias reagiert nicht im geringsten. Nur ein Luftzug, der über ein Felsmassiv streicht. Es gibt andere Parks und andere Bänke, sage ich ihm. Das ist nun mal so meine Art. Ich versuche ihm alles zu erklären. Dem Professor. Blitzkurs in Landesgeschichte, während der vielleicht zwei Minuten, die uns noch bleiben bis zum Einschlag. Ich leiste nicht gerne Widerstand, schon gar nicht dann, wenn es um nichts geht. Und hier wird eine Fünf-zu-zwei-Situation verhandelt. Das bedeutet: ungünstiger Ausgang, eventuell sogar Krankenhausaufenthalt. Sie gebrauchen immer Gewalt, nicht weil es ihr stärkstes Ausdrucksmittel ist, sondern ihr einziges. Sie reden uns ja auch nicht rein, wenn wir ins Theater gehen oder ein Buch lesen. Ich bin grundsätzlich verständnisvoll, und Vergleiche hinken sowieso immer. Wenn zwanzig Leute wie ich stark angetrunken nachts durch eine Straße ziehen und auf einen von denen treffen, würden wir ihn im äußersten Fall in ein Gespräch verwickeln.Umgekehrt wäre wahrscheinlich ein Menschenleben zu beklagen.
Nichts und niemand wird durch unser Bleiben hier gerettet, nichts geändert. Dies sind die hastigen Worte und blitzartigen Gedanken in meinem Kopf, aus denen heraus ich fast mechanisch aufstehe. Aber Zack hält mich am Arm fest und schaut mich an, mit einem skeptischen Lächeln, wie ein Vater ein ungelehriges Kind anschaut, das zum zehnten Mal etwas nicht begriffen hat.
Weshalb bist du überhaupt mitgekommen? Er kann die Frage in meinem Blick lesen. Halb widerspenstig, halb abwesend schüttelt er den Kopf, so wie damals, bei einem seiner letzten Vorträge, die ich im Park erleben durfte und der so dramatisch und bewegend auf mich wirkte, daß ich mich nicht wunderte, ihn die nächsten Tage nicht am gewohnten Platz auf seiner Parkbank anzutreffen. Ja, daß ich mich nicht einmal gewundert hätte, ihn nie wiederzusehen, weil er sich aus Scham oder Verzweiflung möglicherweise für alle Zeiten verkrochen hatte.
An diesem Tag hatte er von Louisa berichtet, seiner Ehefrau. Er sprach von einem großen Unglück, das ihm und ›seinem Mädchen‹ zugestoßen sei, ein Auslöser für eine lange Zeit der Prüfungen. Es habe sein Leben derart auf den Kopf gestellt, daß damit eine neue Zeitrechnung begann und er sein Leben in den Teil, der dem Unglück voranging, und jenen, der nach ihm folgte, einteilte.
Die Vorgeschichte, die der Professor erzählte, beschrieb eine glückliche Epoche. Er sei ›eine Art Lehrer‹ gewesen und habe Louisa als ›eine Art Schülerin‹ kennengelernt, der er jedoch Dinge beibrachte, die sie nicht hätte lernen dürfen. Mit wie zum Gebet gefalteten Händen auf seiner Bank sitzend, begann er eine breite Beschreibung der Siebzehnjährigen, die das Bild der unschuldigen Schönheit zeichnete. Ohne alle Anzüglichkeit und mit einer Leidenschaft, die etwas von der erstickten Verzweiflung der Halbsätze auf Grabsteinen hatte, in denen nichts anderes als die Abwesenheit Gottes beklagt wird. Louisa und der Professor heirateten, aber das Verhältnis in den Dimensionen eines bescheidenen Glücks wurde bald zwiespältig. Zacharias arbeitete hier und da, lernte andere Frauen kennen, und Louisa gebar ihm schließlich ein Kind, wie um ihn von den Verpflichtungen ihrer Ehe zu überzeugen, an die allein sie noch glaubte. Der Lehrer, der sich anderen Studien zugewandt hatte, obwohl er fast abgöttisch an seinem Sohn hing und auf die Idee seiner familiären Harmonie nicht verzichten wollte, entwickelte eine Theorie, die der jungen Schülerin, noch immer ergeben zuhörend, die Bedeutung der persönlichen Freiheit erklären sollte, der Grundlage des einzig würdigen Lebenswandels. Selbstredend hatte der Professor dabei von seiner eigenen Freiheit gesprochen und hätte nicht einmal etwas dabei gefunden, würde seine junge Ehefrau ihm vorgehalten haben, daß ein Gelegenheitsarbeiter, der kaum seine Miete zahlen konnte, auf solchen Prinzipien keine Familie hätte gründen dürfen. Er begann Louisa zu ermuntern,
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