Trojaspiel
feixend sogar. Da hielt man klugerweise still. Eine so umfassende Theorie der Selbstbezichtigung war nicht dafür geschaffen, durch Argumente entkräftet zu werden.
Und ihr Vater, als sie an einem sonnigen Nachmittag am Ufer des Penobscot River Ball spielten? Er machte wie immer ein zuversichtliches Gesicht. Zwei Frauen waren davon zu überzeugen, daß diese Konstellation: das Kind ohne Mutter, die aufopfernde Kindergärtnerin ohne Freund, der alleinerziehende behinderte Vater, der hier keine weitergehenden Bande stiften wollte, für eine Zukunft ausreichen konnte. Es war ihm nur die Tochter wichtig. Die Kleine genoß die Aufmerksamkeit und spürte, hierin müsse eine Entschädigung liegen. Sie trat den roten Ball, den sie sich am Morgen in Thompson’s Spielwarenhandlung ausgesucht hatte, hierhin und dorthin. Ihr Vater brachte ihn immer zurück, kein Weg durch das Gras unterhalb der Ferkelnußbäume war ihm zu beschwerlich. So wie er selbst lachte seine Verehrerin, wenn sie der Kleinen den Ball wieder zuwarf. In einer Familie sind Kinder das Wichtigste. Laura sollte das spüren. Der Vater las im Gesicht seiner Tochter, und noch bevor sie eine Miene verziehen, schmollen oder gar traurig sein konnte, bot er ihr ein neues Kunststück an, eine neue Ablenkung, wie ein Hampelmann oder ein sehr folgsamer kleiner Hund, der jeden Unmut wittern konnte, der seine Lebensgrundlage gefährdete. Das Mädchen trat den Ball immer heftiger – so wie es selbst es empfand: immer wütender. Und auf einmal tanzte er auf einer Schaumkrone des Flusses! Den erstaunten Blick des Vaters hat sie nicht vergessen. Zurück von dem Ball, der noch eine Sekunde tanzte, bevor er fortgerissen wurde, zu dem Gesicht der Tochter. Er wollte Clown spielen und resigniert die Arme heben, glaubte sie, aber ihr Gesichtsausdruck, in dem er las, daß der Verlust des Balles den Tag verderben würde, änderte seinen Entschluß. Er lief hinkend dem Spielzeug hinterher ins Wasser, als der Ball schon flußabwärts trieb. Das Wasser reichte ihm kaum bis zur Hüfte, als es ihn selbst davontrug, aber auch jetzt wirkte es nicht bedrohlich. Der Kopf war oberhalb, und ihr Vater machte Schwimmbewegungen. Das kleine Mädchen konnte sein Gesicht erkennen. Die Augen waren allein auf sie gerichtet. Das Schreien kam jedoch nicht von ihm, sondern von seiner Verehrerin. Als diese den Rand des Wassers erreichte, war der Vater des Mädchens nicht mehr zu sehen. Die Tochter weinte nicht. Das, was geschehen war, konnte nicht wirklich sein oder: nicht ernst gemeint. Ihr Vater würde in einer Minute zurück sein, durchnäßt und lachend, mit dem Ball, dessen Rettung er zu einer dramatischen Vorführung genutzt hatte.
Später hat man ihr dann von der Kraft des Flusses erzählt. Die jahreszeitlich bedingte Fließgeschwindigkeit von fünfzehn Kilometern in der Stunde, die ausreichte, auch einen Elchbullen oder einen Geländewagen mit sich zu reißen, dergleichen geschah. Das Wasser, das ihren Vater mit dem Druck von etwa einer Tonne gegen einen vorstehenden Felsen schleuderte, ihn wieder forttrug, lebend, denn man fand viel Wasser in seiner Lunge, bis er in einem Gemenge von Unrat und Gestrüpp, in einer Biegung, drei Kilometer weiter, das Wasser bewegte sich hier fast friedlich, tot aufgefunden wurde.
Danach blieb das Mädchen endgültig allein. Die Zukunft, die jene Kindergärtnerin gesucht hatte, war ohne den Vater des Kindes nichts mehr wert.
Lauras Augen waren jetzt glasig, ich kannte das.
›Ich habe meine Eltern umgebracht‹, dieser Gedanke besaß ein mittelähnliches Rauschpotential.
Wie ernüchternd mußte es da für sie gewesen sein, meinen Vater kennenzulernen und meine Mutter: die Zeugin.
Ich persönlich aber glaube nicht an den Sinn der Rache; der Durst nach ihr brüllt nicht lauter als mein Gewissen, das die schrillsten Tonlagen beherrscht. Es sind nicht die Taten, die ich verantworte, sondern die Nebenwirkungen, für die ich nichts kann, die ich fürchte.
Auch Laura leidet unter Nebenwirkungen, sagt sie, an jedem Geburtstag, und wenn sie dem Wasser zu nahe kommt.
Das Haus im historischen Zentrum Roms, in dem das Ladengeschäft der Firma Bianchi und Bianchi seinen Platz hat, seit mehr als hundert Jahren, sieht nicht einladend aus. Der blätternde Putz der Fassade, über dem schiefe Fensterläden wie eine Anzahl ungeschickt angebrachter Pflaster jeden neugierigen Blick zu den Bewohnern der oberen Stockwerke
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