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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Geschichten gäbe, gäbe es keine Sprache. Und wenn es keine Sprache gäbe, gäbe es kein … Was? Ich denke gerade an Adam und an das, was er über eine Wahrheit sagte, die jenseits von Sprache existiert, als ich Stimmen höre, die die Treppe hinunterkommen: eine weibliche und eine männliche. Aus irgendeinem Grund ist es mir peinlich, kniend zu beten, und deswegen stehe ich auf und tue so, als sähe ich mir die Kerzen an. Ich weiß, dass ich bald gehen muss: Ich schaue auf die Uhr, Viertel vor vier. Ich bin allerdings derart müde, als hätte ich seit Tagen nicht geschlafen. Und draußen ist es eiskalt und dunkel.
    »Ja, wir haben die Kapelle wieder komplett hergerichtet – endlich.«
    »Es ist erstaunlich. Ich hatte befürchtet, das letzte Feuer wäre das Ende gewesen.«
    Ich erkenne diese Stimme, obwohl sie müde und fast gebrochen klingt.
    »Für den heiligen Judas wird es nie enden. Er hat so viele treue Anhänger.«
    Armer Apollo Smintheus, denke ich, mit seiner Kultgefolgschaft von nur sechs Leuten.
    »Es ist … Oh. Ariel! Dir geht es gut!?«
    »Hallo, Adam.«
    »Maria, das ist Ariel Manto. Die, von der ich Ihnen erzählt habe.«
    Adam sieht schrecklich aus. Was ist mit seinem Gesicht passiert? Sein rechtes Auge ist geschwollen und von einem Bluterguss verfärbt wie ein verdorbenes Stück Obst. Und er hat dieselben Sachen an wie am Dienstag. Was haben wir heute? Donnerstag. Ich glaube, es muss Donnerstag sein. An seiner Seite steht eine Frau von ungefähr sechzig. Sie trägt einen langen braunen Rock und eine purpurfarbene Bluse. Ihre grauen Haare sind zum größten Teil von einem braunen Kopftuch bedeckt, aber ein paar silbrige Strähnen fallen an der Seite ihres Gesichts herunter. Ihre braunen Augen sehen irgendwie jünger aus als seine.
    Sie hält mir die Hand hin. »Hallo, Ariel«, sagt sie leise. »Ich bin froh, dass Sie wohlbehalten hier angekommen sind. Adam hat uns von Ihren Schwierigkeiten erzählt. Wir haben, für den Fall der Fälle, im Gästeflügel des Priorats ein Bett für Sie herrichten lassen. Sie können sich hier so lange ausruhen, wie Sie wollen.«
    Ein Bett? In einem Priorat? Aber ich kann hier nicht bleiben. Ich muss gehen.
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sage ich, wobei ich aus irgendeinem Grund mit der »höflichen« Stimme spreche, die ich nur benutze, wenn ich mit Lehrern, Politessen und ähnlichen Autoritätsfiguren rede. »Aber ich glaube, ich stecke wirklich in furchtbaren Schwierigkeiten, und ich möchte Sie da nicht hineinziehen.« Ich schaue Adam an und deute auf sein lädiertes Gesicht. »Es ist schon zu viel passiert. Sie haben dir das angetan, nicht wahr?« Adam nickt. Ich fahre fort: »Diese Männer … ich begreife wirklich nicht, was los ist. Ich bin nur gekommen, um mich bei Adam zu bedanken. Und mich zu entschuldigen.«
    »Wie wäre es mit Tee?«, fragt Maria, als hätte ich nicht gerade angedeutet, dass sie alle in Gefahr sind, solange ich hierbleibe. »Wir können in die Prioratsküche gehen.«
    Adam schaut mich an. »Hier können sie dich nicht kriegen.«
    Ich seufze. »Das ist nicht sicher.« Ich jedenfalls bin mir keiner einzigen Sache sicher. Was hat er getan, dass ich ihm vertrauen könnte? Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem ich tatsächlich vertrauen würde? Ich denke an meine Mutter und den Moment, als ich ihr zu erzählen versuchte, dass ich mir Schnitte mit dem Messer beibringe. Ich hatte es mir sorgfältig zurechtgelegt. Ich wollte ihr erzählen, wie ich damit anfing, mir die Augenbrauen zu zupfen, weil es die anderen Mädchen auf der Schule taten, aber ich empfand es als so kathartisch, dass ich nicht damit aufhören konnte. Dann kam der Abend im Badezimmer, als ich begriff, dass ich bald keine Augenbrauen mehr hätte, wenn ich mit dem Zupfen nicht aufhören würde. Aber ich hatte mir noch nicht genug Schmerzen zugefügt, noch nicht genug Katharsis. Also nahm ich das Rasiermesser meines Vaters und schnitt mir damit in den Oberschenkel. »Jetzt nicht, Ariel«, hatte sie gesagt und es sich vor ihrem CB-Funkgerät gemütlich gemacht. »Die Welt dreht sich nicht nur um dich, verstehst du?« Vielleicht Burlem. Aus irgendeinem Grund glaube ich, dass ich ihm vertraue.
    Maria geht die Treppe hinauf.
    »Warum zeigen Sie ihr nicht den Geheimgang?«, sagt sie zu Adam. »Es hat keinen Sinn, nach draußen zu gehen, wenn gefährliche Männer in der Nähe sind. Ich sehe Sie dann drüben.« Dann sieht sie mich an. »Wir haben Schlimmeres als das hier

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