Troposphere
Aufregung und die Furcht aus einer gewissen Distanz empfinde, als Zuschauer. Wenn der Held also stirbt und du vielleicht denkst: Nein!, ist es dir trotzdem ziemlich egal. Es ist ja nur eine Geschichte – und du weißt ohnehin, dass der Held in einer Geschichte normalerweise nicht stirbt. Aber mir ist bewusst, dass ich nicht in einer Geschichte bin, und falls mich wirklich jemand erschießen oder sich Zutritt zu meinem Kopf verschaffen will, gibt es keinen Drehbuchautor, der im dritten Akt alles wieder richtet. Ich werde im zweiten Akt sterben, und es ist nicht so, als käme Aristoteles vorbei und würde sagen: Das ist ja ganz falsch.
Und es sieht so aus, als wäre ich nicht wahnsinnig. Das alles widerfährt nicht nur mir, ohne Zweifel: Es ist Burlem ebenfalls widerfahren. Er ist mit Sicherheit der »andere Angehörige des Fachbereichs«, gegen den die Männer Ermittlungen angestellt haben. Er ist der letzte Mensch, der das Buch hatte. Also gehe ich auf keinen Fall in die Universitätsklinik. Ich werde feststellen, ob ich mit Adam sprechen kann, und dann werde ich Saul Burlem suchen. Ich werde ihn finden und alles herausbekommen, was er über die Ereignisse weiß – und dann werde ich einen Plan machen, was ich als Nächstes tun soll. Ich nehme an, dass er ein ausgezeichnetes Versteck hat, wenn er bis jetzt nicht gefunden wurde, aber andererseits hat er ja auch das Buch nicht mehr, ich habe es jetzt.
»Hast du die Nachricht?«, frage ich Heather, wobei ich versuche, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.
»Ja. Ich denke schon. Sie muss hier irgendwo sein.«
Schließlich findet sie einen kleinen blauen Umschlag und gibt ihn mir.
»Danke.«
»Ariel …«
»Was ist?«
»Glaubst du, dass diese Männer wiederkommen? Die haben mir wirklich Angst eingejagt.«
»Ich weiß nicht.«
»Ich meine, ich weiß, dass wir eigentlich nur Gäste hier in deinem Büro sind, und was du tust, ist deine Sache, und ich will mich auch nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber …«
»Ja?«
»Na ja, es ist nicht besonders angenehm, wenn auf einmal die Polizei hier steht. Falls du in Schwierigkeiten steckst, meinst du nicht, du könntest das geregelt kriegen?«
Leck mich, Heather.
Aber tatsächlich sage ich: »Ich stecke nicht in Schwierigkeiten. Und ich werde zu meiner Tante nach Leeds fahren, also wirst du mich eine Zeit lang nicht zu sehen bekommen. Bestell Adam schöne Grüße von mir – und viel Spaß in meinem Büro.«
Vielleicht schickt sie die Irren nach Leeds, aber ich rechne nicht wirklich damit.
Kapitel sechzehn
Liebe Ariel,
ich habe den Großteil der Nacht damit verbracht, an Deine Tür zu klopfen, und dann den ganzen Morgen damit, mir Sorgen zu machen, weil ich diese Männer direkt zu Dir geschickt habe. Du hast mich nicht angerufen. Ich hoffe, es geht Dir gut.
Für den Fall, dass es Dir niemand sonst erzählt hat: Die Männer sagten, sie wären von der CIA. Ich halte das für Blödsinn – aber wer weiß. Sie wollten Deine Adresse haben, aber ich habe sie ihnen nicht gegeben. Jetzt träume ich von ihnen. Das hat allerdings nichts zu bedeuten: Ich hatte vor zwei Jahren einen Nervenzusammenbruch, und seitdem bin ich etwas verschroben, übersensibel und neige zu Albträumen.
Im Moment fühle ich mich nicht so besonders, und deshalb werde ich in die Kapelle gehen, um mich wieder zu fangen. Wenn es geht, solltest Du meiner Ansicht nach auch kommen. Ich kann Dir jetzt nicht alles sagen, aber ich kann Dir alles sagen, wenn ich Dich sehe.
Falls Du das hier für paranoides Geschwätz hältst, beachte es bitte nicht weiter. Ich bin manchmal paranoid.
Dein Freund Adam
Es ist halb vier und fast vollkommen dunkel, als ich zur Kapelle des hl. Judas komme. Ich hatte keine Zeit, anzuhalten und mich nach der Richtung zu erkundigen, und deswegen bin ich einfach in Faversham herumgefahren und habe darauf gewartet, dass etwas geschieht. Schließlich sah ich ein zerbeultes Schild mit der Aufschrift Hl.-Judas-Kapelle, und hier bin ich jetzt, vor der Kirche Unserer Lieben Frau von Mount Carmel. Ich glaube, die Kapelle ist dadrinnen. Ich gehe davon aus, dass ich innerhalb der nächsten halben Stunde hier weg- und irgendwo völlig aufs Geratewohl hinfahren muss, um meine Gedanken zu ordnen. Deswegen habe ich nicht viel Zeit.
Es ist niemand in der Kirche, als ich eintrete, wobei ich vermutlich mit meiner schäbigen alten Reisetasche über der Schulter aussehe, als wäre ich geistesgestört. Die
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