Troposphere
ausgeschlossen, dass vierdimensionale Lebewesen so etwas wie einen eigenen Daguerreotypie-Apparat herstellen könnten, aber einen, der keine flachen, zweidimensionalen Kopien der Dinge produziert, sondern dreidimensionale?
Der Mann wird wütend und wirft den Fotografen aus dem Haus; er ist überzeugt, dass es eine andere Erklärung geben muss. Er ist jedoch nicht in der Lage, sich eine zurechtzulegen, und kommt letztendlich zu dem Schluss, dass sein Besucher doch recht gehabt haben muss. Er findet die Visitenkarte des Mannes und beschließt, ihn sofort aufzusuchen. Aber als das Dienstmädchen ihn in das Haus des Greises führt, findet er etwas sehr Merkwürdiges vor. Der Fotograf scheint in dem Wohnzimmer zu stehen und den Daguerreotypie-Apparat zu halten. Aber es ist nicht der reale Mann; es ist eine leblose Kopie.
»Wissen Sie, was ich an der ›Daguerreotypie‹ so schätze?«, fragte Burlem.
»Was?«
»Das offene Ende. Mir gefällt, dass der Mann nie die Antwort findet.«
Bis zu diesem Augenblick hatte es keine Musik in der Painted Hall gegeben, nur das Geräusch von Stimmen und Gelächter, das von den Wänden der großen Räume widerhallte. Aber irgendjemand musste sich daran erinnert haben, dass eigentlich Musik gespielt werden sollte, und die ersten kräftigen Töne von Händels »Dixit Dominus« sickerten in die Halle, gefolgt von dem ersten Vers, bei dem alle Stimmen des Chors übereinanderstolpern: Dixit Dominus Domino meo, sede a dextris meis.
»Also«, sagte Burlem mit etwas lauterer Stimme, um die Musik zu übertönen, »arbeiten Sie demnach ganztags für diese Zeitschrift?«
»Nein. Ich schreibe nur jeden Monat meine Kolumne.«
»Ist das alles, was Sie machen?«
»Im Moment ja.«
»Können Sie davon leben?«
»Gerade so. Der Zeitschrift geht es ziemlich gut. Ich kann meine Miete zahlen und leiste mir jeden Monat ein paar Tüten Linsen. Und ein paar Bücher natürlich.«
Die Zeitschrift hat ganz klein angefangen, herausgegeben von einer Frau, die ich an der Uni kennengelernt habe. Jetzt gibt es einen Vertriebsdeal, und das Blatt liegt in jedem großen Plattenladen im Land aus. Es gibt eine vernünftige Anzeigenabteilung und eine Grafikerin, die keinen Klebstoff benutzt, um das Layout zusammenzubasteln.
»Was haben Sie an der Uni studiert? Offenbar keine Naturwissenschaften.«
»Nein. Englische Literatur und Philosophie. Aber ich denke ernsthaft daran, wieder an die Uni zu gehen und Naturwissenschaften zu studieren. Ich werde mich wahrscheinlich für einen Studienplatz in theoretischer Physik bewerben.« Ich erklärte, dass ich Sachen wie die Relativität und Schrödingers Katze tatsächlich gern verstehen würde, und dass ich versuchen wollte, den guten alten Äther wiederzubeleben. Ich fühlte mich ein bisschen betrunken, also quatschte ich noch ein bisschen über Lichtäther. Burlem kannte sich damit aus: Es stellte sich heraus, dass er an der Universität den Magister-Studiengang für Literatur und Naturwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts leitete. Aber ich redete trotzdem immer weiter, darüber, wie faszinierend es sei, dass die Leute über Jahrhunderte nicht schlau daraus wurden, wie Licht sich in einem Vakuum bewegen konnte, Schall jedoch nicht (man kann eine Glocke in einem Vakuum sehen, aber man kann nicht hören, wie sie kling macht). Im neunzehnten Jahrhundert glaubten die Menschen, dass Licht sich durch etwas Unsichtbares fortbewegte – den Lichtäther. Im Jahr 1887 wollten Albert Michelson und Edward Morley den Beweis antreten, dass der Äther existiere, aber am Ende mussten sie sich eingestehen, dass es ihn nicht gab. Während ich mit Burlem redete, konnte ich mich natürlich nicht an den Zeitpunkt des Experiments und an die Namen der Wissenschaftler erinnern, aber ich erinnerte mich gut daran, wie Michelson von dem verlorengegangenen Gegenstand seines Experiments als dem »geliebten alten Äther« sprach, »der nun aufgegeben ist, obwohl ich persönlich noch ein wenig an ihm festhalte«. Ich begeisterte mich ein bisschen dafür, wie viel Poesie doch in der theoretischen Physik sei, und ließ mich darüber aus, wie sehr ich Forschungseinrichtungen mochte: besonders solche mit großen Bibliotheken.
Da unterbrach mich Burlem und sagte: »Tun Sie das nicht. Scheiß auf die theoretische Physik. Machen Sie doch einfach Ihren Dr. phil. bei mir. Ich nehme an, Sie haben noch keinen?«
So hat er es formuliert. Scheiß auf die theoretische Physik.
»Worüber sollte ich die
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