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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Menschen auf einem Universitätsgelände voller Menschen in einer Welt voller Menschen? Wo konnte ich hingehen? Wo konnte ich hingehen, wo sonst niemand sein würde? Wo konnte ich unsichtbar sein?
    Im Eisenbahntunnel.
    Zwei Minuten später stand ich nicht mehr in meinem Büro, sondern im Fotokopierraum und hatte die Tür abgeschlossen. Es war überraschend leicht, den Deckel der Bodenluke hochzuheben. Ich hatte keine Taschenlampe, nur ein kleines Licht am Schlüsselbund. Aber es reichte aus, die dünne Metallleiter auszumachen. Hatte ich den Verstand verloren? Ich war mir nicht sicher. Aber als ich in das Dunkel hinabstieg und den Lukendeckel vorsichtig über meinem Kopf zumachte, hörte ich wütendes Klopfen und eine Männerstimme mit amerikanischem Akzent schreien: »Professor Burlem!« Sie waren an meiner Bürotür auf der anderen Seite des Flurs. Aber ich war verschwunden. Niemand hatte mich in den Fotokopierraum gehen sehen. Ich kam mir so vor, als hätte ich eine Kette von Beweisen, von Ursache und Wirkung zerrissen. Wenn ich nicht wieder zum Vorschein käme, würde niemand je erfahren, wo ich war. Wenn niemand mich sehen konnte, existierte ich dann überhaupt?
    Der Tunnel war dunkel und kalt und von einem ständigen Tropfgeräusch erfüllt. Er war viel größer, als ich mir das vorgestellt hatte – aber andererseits ist ein Eisenbahntunnel natürlich groß: so groß, dass zwei Züge nebeneinander durchpassen. Es war zu dunkel, um irgendwelche Einzelheiten zu erkennen, aber ich bekam einen Eindruck der Größe durch die Art, wie der Schall im Raum hallte. Ich ging in eine Richtung, die ich für Süden hielt, auf die Unterseite des Newton Building zu. Meine Füße knirschten auf etwas, das sich wie Schotter anfühlte, aber ich konnte den Untergrund nicht sehen. Ich tastete mich an der Wand entlang und hoffte, mich so weit von den Männern des Project Starlight zu entfernen, dass der Schlafende nicht in der Troposphäre zufällig über mich stolperte. Ich stellte mir etwas in der Art einer Razzia im Morgengrauen vor: Wenn die Männer wussten, dass ich in der Universität war, konnte der Schlafende dann einfach in alle Behausungen in der Troposphäre reinplatzen, bis er meine fand? Das war der Gedanke, der mich beschäftigte, während ich weiter in den Tunnel hineinging. Ich wusste bereits, dass viele Faktoren von Telemantie und Pedesis mit räumlicher Nähe zu tun hatten. Aber andererseits gab es dermaßen viele mit einem Bewusstsein ausgestattete Menschen auf dem Universitätsgelände, und die Männer konnten sich nicht mal sicher sein, dass ich in der Gegend war. Ich wusste nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Und als ob ein rachsüchtiger Gott beschlossen hätte, mir einen Streich zu spielen, wurde ich im nächsten Moment durch einen Haufen Schutt und Ziegelsteine aufgehalten. Ich wusste, dass ich mir den Weg freiräumen musste, um zum Ausgang zu gelangen. Wollte ich zum Ausgang? Ich sank zu Boden und begann darüber nachzudenken, was ich tun sollte.
    Ach. Schluss mit den müßigen Erinnerungen. Da vorn ist die Kirche. Ich werde Planck draußen festbinden.
    Ich bin –
    Ach, Scheiße. Das war's. Ich bin draußen in der Troposphäre: rausgeschmissen, weil Burlem in die Kirche gegangen ist. Dann hatte Adam in der Hinsicht also recht.
     

Kapitel einundzwanzig
     
    Ich stehe auf einer langen Metallbrücke über einem gewaltigen Fluss. Hier ist immer noch Nacht, alles ist vom Todeskuss eines silbrigen Leuchtens überzogen, das wie Mondschein aussieht (obwohl ich keinen Mond sehen kann), und jedes Bauwerk, einschließlich dieser Brücke, scheint mit Lichtern behängt zu sein, die von dem rauschenden schwarzen Wasser unten reflektiert und dann verschluckt werden. In der wirklichen Welt würde ich sofort einen Schwindel verspüren, aber hier in der Troposphäre ist es nur dieses sirupartige Nichts. Man muss erheblich emotionaler sein, wenn man in der Troposphäre (oder wie es im Project Starlight genannt wurde – Geist-Raum) irgendetwas fühlen möchte. Und doch kann ich manche Dinge spüren. Ich bin enttäuscht, hier vor die Tür gesetzt worden zu sein, gerade als ich im Begriff war herauszufinden, wo Burlem hinging, nachdem er aus dem Tunnel gekommen war. Aber das ist es auch schon: leichte Enttäuschung. Draußen würde ich viel mehr empfinden.
    Draußen. Wie komme ich jetzt genau nach draußen? Vermutlich muss ich an den Ort zurück, wo ich begonnen habe: das Ende der Straße mit den Puppenhäusern und den

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