Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
wollte nur einen Scherz machen.«
    Laura war voriges Jahr in Schwierigkeiten geraten, weil sie mit allen ihren Studenten eine Art psychogeographisches Projekt veranstaltet hatte, bei dem sie Stadtpläne von Berlin benutzen mussten, um sich im hiesigen Stadtzentrum zu orientieren. Drei von ihnen waren schließlich zu Fuß auf der Autobahn aufgegriffen und festgenommen worden.
    Während weitere Fragen und Antworten folgten, saß ich einfach da und dachte über die Troposphäre nach. Ich dachte, ich hätte schon eine ziemlich gute Vorstellung davon, wie sie funktionierte. In der Tat hatte ich deswegen in den vorangegangenen Tagen nicht besonders viel geschlafen, und während die anderen sich weiter über den Eisenbahntunnel unterhielten und ob Laura ein Forscherteam die Bodenluke hinunter anführen solle oder nicht, fielen mir allmählich die Augen zu. Ich träumte von einer Welt, in der jeder Zugang zu den Köpfen aller anderen hatte, bis eine Regierung Männer in dunklen Uniformen rekrutierte, die herumgehen und an allen eine Gehirnwäsche vornehmen sollten, damit sie nicht mehr wussten, wie man es machte. Als ich aufwachte, waren alle gegangen. Das war auch gut so: Ich hatte im Schlaf geschwitzt, und mein Hemd war fast völlig durchnässt. Obwohl ich allein war, hatte ich das bestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Ich wusste, dass ich das Buch Lura zurückgeben musste, und deshalb führ ich direkt nach Hause, um sie anzurufen und eine Übergabe am Wochenende zu vereinbaren. Als ich den Wagen durch den dichten Verkehr lenkte, überlegte ich, ob es nicht vielleicht besser wäre, das Buch ganz zu verbrennen oder wenigstens die Seite mit dem Rezept zu vernichten.
    Aber ich bin Professor für englische Literatur. Ich könnte kein Buch vernichten, auch wenn mein Leben davon abhinge. Wenigstens dachte ich das damals.
    Ich fand einen Parkplatz in meiner Straße und ging die letzten zwanzig Meter zu meinem Haus. Als ich drinnen war, überlegte ich, was zu tun war. Inzwischen hatte ich alles geplant. Meine Idee war, die Seite mit dem Rezept herauszunehmen – aber ich wollte sie mit Sicherheit nicht vernichten. Ich hatte vor, sie zu behalten oder zu verstecken. … Ich war mir noch nicht ganz sicher, was ich damit anfangen sollte. Mir war wohl klar, dass ich sie irgendwann würde vernichten müssen, aber fürs Erste dachte ich, sie herauszunehmen würde reichen. Ich würde die Seite herausnehmen, das Buch Lura zurückgeben und so tun, als wüsste ich nicht, wovon sie redet, falls sie mich je danach fragte.
    Genau in dem Moment, als ich die richtige Seite im Buch aufgeschlagen hatte, sah ich draußen die Autoscheinwerfer. Dann hörte ich das regelmäßige Brummen eines Dieselmotors und nahm zunächst an, jemand hätte ein Taxi bestellt. Aber weil ich nervös war und auf alles achtgab, ging ich – immer noch das Buch in der Hand – zum Fenster, um nachzusehen. Und da sah ich sie: die beiden blonden Männer, die ich zuletzt gesehen hatte, als ich meinen Vortrag in Greenwich hielt. Sie versuchten, irgendwo vor dem Haus einen Parkplatz zu finden.
    Sie wollten das Buch haben.
    Und schlimmer noch: einer von ihnen führ – suchte nach einem Parkplatz –, aber der andere? Nun ja, er schien zu schlafen.
    Ich konnte nicht schnell genug denken. Falls einer von ihnen in der Troposphäre war, dann war er einen oder zwei Sprünge von meinem Kopf und von allem entfernt, was ich über »The End of Mister Y« wusste. Ich schaute auf das Buch und riss rasch die Seite heraus. Meine Gedanken fielen in diesem Moment fast in sich zusammen, aber was ich als Nächstes tat, war trotzdem ganz präzise und konzentriert. Ich musste das Buch zurücklassen, aber die Seite würde ich mitnehmen. Ich faltete die Seite zusammen und steckte sie mir in den Schuh. Ich begriff, dass ich verschwinden musste, bevor die Männer entweder reinkamen und mich zusammenschlugen oder – schlimmer noch – sich Zutritt zu meinem Bewusstsein verschafften und sich meines Wissens auf diese Weise bemächtigten. Sie suchten immer noch nach einem Parkplatz. Ich versteckte das Buch hinter dem Klavier, nahm meinen Mantel, die Brieftasche und die Schlüssel und verließ das Haus durch die Hintertür. Über den Zaun der Nachbarn, durch den Garten, über ihre Einfahrt zur Straße und in meinen Wagen. Ich dachte, ich bekäme einen Herzinfarkt. Der Mann, der bei Bewusstsein war, schaute nicht mal in meine Richtung, als die Fahrertür zuschlug. Ich rechnete mit einer

Weitere Kostenlose Bücher