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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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mit weiteren Gedanken und Erinnerungen. Zum ersten Mal fühle ich mich angesichts dieses Wissens erschöpft. Inzwischen ist die Sonne aufgegangen, und ich gehe durch eine knallgelbe Wüste mit riesigen Sandburgen, die sich überall auftürmen und wieder verschwinden. Von was zum Teufel ist das hier die Entsprechung? All das hier ist eine Metapher, stimmt's? Und was – oder wo – ist die verdammte Realität, die dem entspricht?
    Es kommt mir vor, als würde ich stundenlang durch die Wüste laufen, aber ich habe hier drinnen kein wirkliches Zeitgefühl. Die zehn Minuten auf der Brücke könnten drei oder eine oder zwanzig gewesen sein. Ich weiß nur, dass jeder Schritt der tickende Sekundenzeiger einer kosmischen Uhr sein könnte, und je näher ich mir selbst komme, desto weiter entferne ich mich von der Möglichkeit, das hier zu überleben. Ich komme aus der Wüste und auf einen weiteren Feldweg, der von mehreren Lokalen in blauen und rosaroten Neonfarben gesäumt ist. Ein gutes Zeichen? Sollte es mich beruhigen, dass ich erneut hier bin? Die Sonne geht wieder unter, zu schnell, als wäre es der Abend am Ende der Welt. Auf einer Straßenseite steht eine eingestaubte Tankstelle. Wenn ich nur mich selbst dort volltanken könnte. Die Luft ist immer noch feucht, und die Blitze sind folgenlos geblieben: kein Regen, kein Donner. Und ich bewege mich vorwärts in etwas, das mein eigenes Bewusstsein sein muss, ich habe mich verirrt in meinen eigenen Ideen und Annahmen. Ich weiß nicht, wo »ich« bin. Und die Distanz zum roten Punkt auf der Konsole ist nicht erkennbar kleiner geworden.
    Apollo Smintheus?
    Nichts.
    Apollo Smintheus? Ich werde alles tun … Bitte komm und hilf mir.
    Noch ein tonloser Riss im Himmel. Jetzt glaube ich zu wissen, was Beten ist. Ich mache noch zwei oder drei Schritte, aber ich scheine zu verblassen. Ich glaube, ich kann keinen Schritt mehr weitergehen. Ein fernes Grollen ist zu hören. Donner? Ich gehe in die Knie.
    Apollo Smintheus?
    Und dann sehe ich ihn, wie eine Fata Morgana. Eine Fata Morgana auf … einem roten Motorroller?
    »Nun ja«, sagt er, als er neben mir anhält.
    Wir sind von einer hellbraunen Staubwolke umgeben, die sich langsam senkt.
    »Ich dachte, Sie kämen nicht mehr wieder«, sage ich.
    »Hatte ich auch nicht vor.«
    »Aber Sie sind wieder da. Sie sind hier. Oder bilde ich mir das nur ein?«
    Apollo Smintheus lächelt. »Natürlich bilden Sie sich das nur ein. Aber das heißt nicht, dass ich nicht hier bin.« Er schaut auf die Uhr. »Sie sind in Schwierigkeiten. Trinken wir einen Kaffee.«
    Er lässt den Roller auf dem Feldweg stehen und geht auf eines der neonbeleuchteten Lokale zu. Ich folge ihm, aber jeder Schritt fühlt sich matschig an, als würde ich mich in voller Bekleidung unter Wasser bewegen. Als wir uns dem Lokal nähern, sehe ich, dass es Mus Musculus heißt und anstelle der Tür den gleichen Torbogen hat wie das Haus von Apollo Smintheus. Im Inneren sieht es aus wie in einem amerikanischen Roadmovie: rote Kunstledernischen, laminierte Speisekarten, große gläserne Zuckerdosen. Die Tische sind aus weißem Resopal. In einer Ecke liegt das gleiche Nest, das ich seinerzeit in dem Haus neben dem Billardsalon gesehen hatte, wohl irgendwo auf der anderen Seite der Troposphäre.
    »Nun ja«, sagt Apollo Smintheus wieder.
    Ich schaue zur Theke hinüber. Keine Bedienung zu sehen. Über dem linken Thekenrand hängt ein Fernseher. Er ist ausgeschaltet. Rechts dahinter, an der Wand, hängt eine große weiße Digitaluhr; aber keine der Zeiten, die sie anzeigt, kommt mir vertraut vor. Zunächst steht da 82.5, dann 90.1, dann 85.5, dann 89.7. Sie hat einen unregelmäßigen Rhythmus, weshalb ich vermute, dass es doch keine Uhr sein kann. Auf dem Tisch steht plötzlich eine weiße Tasse mit einer braunen Flüssigkeit. Gut, wenn ich schon sterben muss, kann ich vorher ruhig noch einen Troposphärenkaffee trinken. Und ich habe ohnehin nicht die Energie, viel mehr zu tun, als Kaffee zu trinken. Ich will diese Reise durch die Troposphäre so lange wie möglich hinauszögern. Ich kann es nicht fassen, dass ich so blöd gewesen bin. Ich kann es nicht fassen, dass ich mich in meinem eigenen Bewusstsein verirrt habe. Fühlt es sich so an, wahnsinnig zu sein? Wahrscheinlich ist es am besten, nicht zu viel darüber nachzudenken.
    »Danke«, sage ich zu Apollo Smintheus. »Ich meine, für …«
    Wofür bedanke ich mich bei ihm? Für den Kaffee? Dafür, dass er hier ist? Mich

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