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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Ich liege immer noch da, genauso bewusstlos wie zuvor.
    »Diese ganze Welt ist aus Sprache«, sage ich. »Das ist der Grund, warum ich durch einen Tunnel hierherkomme, der aus Sprache besteht – aus allen Sprachen, vom Anbeginn der Zeit. Die Gedanken der Menschen werden hier irgendwie gespeichert …«
    »Sehr gut.«
    »Und Sie bestehen aus einer spezifischen Sprache, dem Gebet.«
    »Ja.«
    »Aber etwas verstehe ich nicht. Warum kann ich nicht die wahre Troposphäre sehen? Sie besteht doch sicher auch nur aus Zahlen und Buchstaben, oder? Ich meine, wenn sie aus Sprache ist, ist sie doch dazu bestimmt, verständlich zu sein.«
    »Und auf was ist die Sprache geschrieben?«
    Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß nicht.« Aus irgendeinem Grund stelle ich mir eine große Tafel am Himmel vor, eine kosmische Version des Rosetta-Steins. Jedes Mal, wenn jemand etwas denkt oder sagt oder tut, wird es dort aufgezeichnet. Aber wenn das so wäre, sollte ich in der Lage sein, es zu sehen. Ich meine, wir wären alle in der Lage, eine riesige Steintafel am Himmel zu sehen. Vielleicht ist das wirklich alles nur Metaphorik.
    »Sie werden sich dazu wohl nochmal ein paar Gedanken machen müssen«, sagt Apollo Smintheus.
    »Ja …«
    »Aber nicht jetzt. Jetzt müssen wir Sie hier rausschaffen.«
    »Ich …«, beginne ich.
    Apollo Smintheus schaut auf seine Armbanduhr. »Was ist?«
    »Warum kümmern Sie sich um mich?«
    »Oh, weil Sie etwas für mich tun werden.«
    »Und was ist das?«
    »Ich werde es Ihnen unterwegs erzählen.«
     
    Wir lassen Staubpiste und Wüste hinter uns und kommen in eine Art Vorstadt aus kleinen weißen Häusern mit blauen Türen. Es ist wieder Nacht, wieder das silberne Licht. Jedes Haus hat einen Blumenkasten mit blauen Blumen vor einem Fenster und einen hübschen Vorgarten. Die Gärten sind mit Tau benetzt und mit glänzenden kleinen Spinnweben bedeckt. Apollo Smintheus hat mir erklärt, was ich für ihn tun soll, und es ist völlig bescheuert.
    »Sie wollen, dass ich ins Jahr 1900 zurückgehe?«
    »Ja. Und es hat keinen Sinn, sich zu widersetzen, weil Sie es in gewisser Weise schon getan haben. Deshalb bin ich jetzt hier und helfe Ihnen.«
    Ich nehme so wenig davon zur Kenntnis, wie ich kann. »Sie wollen, dass ich ins Jahr 1900 zurückgehe und im Kopf einer pensionierten Lehrerin herumspiele, die ›ausgefallene Mäuse‹ züchtet?«
    »Ja, das ist richtig. Miss Abbie Lathrop. Wie ich Ihnen gerade erklärte, hat sie praktisch die Labormaus erfunden. Wenn Sie in irgendein Laboratorium gehen, werden Sie dort Mäuse finden, die von ihrem ursprünglichen Zuchtbestand abstammen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die C56/ BL6/Bkl. Das ist eine Mäuserasse, die Sie bei jedem Großhändler kaufen können. Sie sind alle schwarz, alle per Inzucht erzeugt und stammen alle von Miss Abbie Lathrops Bestand ab – der Paarung des Männchens 52 mit dem Weibchen 57, um genau zu sein.«
    »Warum?«, frage ich, während mein Gehirn versucht, diese Informationen zu verarbeiten – und dabei versagt. »Warum wollen Sie, dass ich das mache?«
    »Die Jungs in Illinois bitten mich in ihren Gebeten darum, etwas gegen das Elend der Labormaus zu unternehmen. Nun denn, mir fällt nichts Besseres ein, als die Frau aus dem Verkehr zu ziehen, die sie erfunden hat, Ihnen etwa?«
    »Aber ich kann niemanden aus dem Verkehr ziehen!«
    »Ach, wirklich? Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Gedanken von Menschen nicht verändert haben, seitdem Sie hier drinnen sind? Menschen dazu gebracht haben, Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht getan hätten? Sind Sie nicht auf diese Weise den Männern im Wagen entkommen?«
    »Aber …« Ich finde das frustrierend. »Das ist in Echtzeit passiert. Man kann die Vergangenheit nicht verändern. Was ist mit Paradoxien?«
    »Alles, was in der Troposphäre geschieht, geschieht in der Vergangenheit, so wie Sie das Wort verstehen.«
    »Und Paradoxien?«
    »Ach, im Moment ist alles ein bisschen paradox. Es würde keine Rolle spielen.«
    Vor meinem geistigen Auge sehe ich Männer in weißen Kitteln, die sich über Behälter mit Mäusen beugen. Erst untersuchen sie ein Tier, dem ein Ohr oder ein Tumor auf dem Rücken wächst, dann ist nichts in dem Behälter. Aber wenn die Frau, die die Mäuse gezüchtet hat, im Jahr 1900 daran gehindert worden wäre, das zu tun, wären die Mäuse gar nicht erst da gewesen. Die Männer wären dann auch nicht da gewesen. Die ganze Welt würde sich ändern. Ich versuche, das Apollo

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