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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Begriff war, an ihr vorüberzugehen, Puppenspiele allerersten Ranges stattfanden. Sie spielte auf einem Harmonium, einem alten, übel zugerichteten Ding, dem sie die grauenhaftesten Geräusche entlockte. Ich vernahm von ihr, dass der Beginn der nächsten Vorstellung unmittelbar bevorstehe, bezahlte meinen Penny vor allem aus Mitleid mit dem Mädchen und ging hinein.
    Das Stück erwies sich als triviale Moralität, in dem ein paar Dorftrottel mit einem Esel, der sich nicht von der Stelle rührt, auf einer Landstraße feststecken. Nach einer Weile erscheint der Teufel und bietet seine Hilfe an. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass die Geschichte kein gutes Ende nimmt. Das Zelt, in dem dies stattfand, war aus Segeltuch, und es besaß ein kleines Proszenium, das einen moderigen Eindruck machte und aus Kisten gebaut zu sein schien, über die man zwei abgenutzte schwarze Samtdecken drapiert hatte. Der abgeschlossene Raum überwältigte mich bald mit seiner eigenartigen Geruchsmischung aus altem Schnupf- und Pfeifentabak, Sirup, saurer Milch und Pomade, und ich war froh, als das Stück vorüber war.
    Als ich das Marionettentheater verließ, stellte ich fest, dass die Regenwolke, wie ich befürchtet hatte, ihren Inhalt mit beängstigender Heftigkeit ausschüttete. In meinen Bemühungen, trocken zu bleiben, fand ich mich inmitten einer Menge wieder, die sich unter einem schmutzigen weißen Vordach links neben dem Marionettenzelt versammelt hatte. Dort stand ein Mann und lud zu einer Darbietung ein, die er »Nimm ´nen Strohhalm« nannte. Er behauptete, im Besitz mehrerer Briefumschläge zu sein, die ein derart folgenreiches Geheimnis enthielten, dass es ihm behördlicherseits verboten sei, sie zu verkaufen. Stattdessen verkaufe er – durchaus rechtmäßig, wie er uns versicherte – Strohhalme. Wer sich einen langen Strohhalm griff, würde einen der Umschläge gewinnen. Wer das Pech hätte, einen kurzen Strohhalm zu ziehen, würde nichts gewinnen. Die Strohhalme kosteten einen Penny das Stück. Ich beobachtete, wie mehrere Herren und eine Dame zu ihm gingen. Von diesen zogen die Dame und zwei der Herren längere Strohhalme und bekamen je einen Umschlag ausgehändigt. Aller Augen waren auf sie gerichtet, während sie das Stück Papier aus ihren Umschlägen zogen und, nachdem sie es einige Augenblicke inspiziert hatten, erstaunte Ausrufe von sich gaben. Ich wollte mich von solch einem alten Trick nicht an der Nase herumführen lassen und freute mich, meinen Verdacht durch eine etwas gründlichere Überprüfung der fraglichen Dame bestätigt zu sehen. Der Schlamm an ihren Schuhen sowie die Röte ihrer kräftigen Hände legten die Vermutung nahe, dass sie entweder irgendwo in Diensten stand oder auf dem Jahrmarkt arbeitete. Ein Augenzwinkern ihres Komplizen bekräftigte meine letztere Vermutung.
    Nachdem ich mich von diesem Spektakel abgewandt hatte, zog eine weitaus verlockendere Tafel an einem großen Zelt meine Blicke auf sich. Sie warb für etwas namens »Oper der Phantome« unter Beteiligung von Peppers Geist und Gompertz' Spektroskop und rühmte sich königlicher Schirmherrschaft. Es war eine Gespensterschau, eine Darbietung, über die ich die Herren in meinem Club hatte reden hören, die ich aber selbst nie besucht hatte. Ich beugte zum Schutze vor dem prasselnden Regen den Kopf und wagte mich unter dem Vordach hinaus auf das Zelt zu, das ich betrat, nachdem ich mehrere Stufen erklommen hatte.
    Das behelfsmäßige Theater war halb voll, und die Lichter wurden verdunkelt, sobald ich auf der harten Holzbank Platz genommen hatte. Kurz darauf kündigte die allergespenstischste und schrägste Musik, die ich je vernommen habe, den Beginn der Vorstellung an. Ich fühlte mich an eine Spieldose aus meiner Kindheit erinnert, ein kleiner silberner Apparat, der hauptsächlich von einer meiner Schwestern als Kirchenorgel bei ihren extravaganten Leichenbegängnissen kaputter Puppen und toter Mäuse benutzt wurde. Immer noch umspült von dieser unheimlichen Musik, wurde ich Augenzeuge eines wahrhaft faszinierenden Schauspiels, als nämlich mit Hilfe einer raffinierten Technik tatsächlich durchsichtige Phantome auf der Bühne erschienen. Es gab ihrer drei, von denen jedes die Höhe und Breite eines lebenden Menschen hatte, aber einen Körper, der so blass und gegenstandslos war wie ein Nebelstreif. Zunächst glaubte ich fast, es handele sich um Schauspieler in besonderen, perlenbesetzten Kostümen. Sie hatten die Form von Menschen und

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