Troposphere
mehr oder weniger sagen würden, ich soll mich verziehen. Ich meine, die kennen mich ja gar nicht. Und es ist schon ein bisschen seltsam, danach zu fragen. Ich meine, Sie verstehen ja mein Problem, aber ich bezweifle, ob die das auch würden.«
»Wollen Sie, dass ich bei denen mal anrufe?«
»Oh, würden Sie das tun? Tausend Dank, Yvonne.«
»Ich werde den Antrag auf ein neues Passwort genehmigen und einen von ihnen rüberkommen lassen, damit er alles für Sie regelt. Wenn Professor Burlem dann zurückkommt, wird er sich ein neues Passwort einrichten müssen, aber sein altes wird dann sowieso abgelaufen sein. Ich weiß nicht, wann die Ihnen jemand rüberschicken können, aber vielleicht geben Sie mir kurz Bescheid, wenn er da war, und dann kümmern wir uns anschließend um die Schreibtische, okay?«
Um zwölf ist der Techniker immer noch nicht da gewesen, und ich bekomme allmählich Hunger. Wenn ich irgendwo zwei Scheiben Brot herbekäme, könnte ich mir ein Schokoladensandwich machen (was nicht das übelste Mittagessen wäre, das ich je zu mir genommen habe), aber wer weiß, ob die Mensa überhaupt offen ist. Ich versuche, die Website der Universität zu öffnen, damit ich mich in das Intranet einloggen kann, aber ich bekomme statt der Startseite nur eine Fehlermeldung. Kein Wunder, dass niemand hier ist. Jeder, der sich auf die Universitätsseite einloggt, um zu sehen, ob sie wieder in Betrieb ist, würde bestimmt bei diesem Anblick das Schlimmste befürchten. Ich seufze. Sogar Schokolade ohne alles wäre nicht das übelste Mittagessen, das ich je hatte – in Wirklichkeit ist es praktisch gourmetmäßig –, aber etwas Brot dazu wäre toll, und die Brötchen in der Kantine kosten nur zehn Pence. Ich schreibe eine Notiz und pinne sie an meine Tür. Bin in 5 Minuten zurück. Ich hoffe nur, der Techniker kommt nicht in der Zwischenzeit und geht gleich wieder.
Das Russell Building liegt wie das Stevenson Building auf dem westlichen Campus und ist in Form einer Cyberblume angelegt, mit vier Blütenblättern und einem kleinen Satz von Kreuzgängen in der Mitte. Ich habe nicht viel Zeit im Stevenson Building verbracht, weil die Studenten alle behaupten, dass es exakt so aussieht wie das Russell Building, nur »umgekehrt«, was sich ziemlich verwirrend anhört, vor allem, wenn man bedenkt, dass das Russell Building an sich schon verwirrend genug ist. Trotzdem verlaufe ich mich nur zu Beginn des akademischen Jahres im Russell Building, wenn die ganzen neuen Studenten da sind und alle verwirrt zu sein scheinen und man den Verdacht nicht loswird, dass die Köpfe aller Verwirrung absondern, die dann alle anderen infiziert.
Ich verlasse den Flur der Anglisten durch die Seitentür und laufe auf dem überdachten Fußweg, der zu einer der Seitentüren des Russell Building führt. Dann gehe ich eine Betontreppe hoch und eine weitere runter, bis ich einen langen weißen Korridor mit getünchten Wänden und abgenutzten Bodenfliesen erreiche. Wenn er voller Studenten ist, macht er einen fast normalen Eindruck, aber jetzt wirkt er wie der medizinische Flügel einer stillgelegten Raumstation aus den sechziger Jahren, oder so, wie man sich das damals vorgestellt hätte. In einem der Räume, die an diesem Korridor liegen, wird kaputtes Mobiliar aufbewahrt. Ich höre das hallende Geräusch meiner Schritte, während ich da gehe, und mich beschleicht das Gefühl, dass ich der einzige Mensch in dem gesamten Gebäude sein könnte.
Die Tische im Speisesaal sind zu einem geometrischen Muster geordnet, das zufällig wirkt, bis man zum Dozentenzimmer hochgeht und hinunterschaut. Von dort oben begreift man, dass die langen Tische alle zur Kathedrale hinzeigen, die von den großen Fenstern an der Rückseite des Speisesaals quasi eingerahmt wird. Von dort oben ergibt das alles einen Sinn, und man hat das Gefühl, als sei man Teil eines Bildes und als würde nichts auf der vollkommenen Linie, die einen mit der Kathedrale verbindet, wirklich existieren. Man steht im Dunkeln, und die Kathedrale ist von einem Rechteck aus Licht umrahmt. Ich musste einmal in dieses düstere Zimmer neben dem Empfangsbereich gehen, um die Diaprojektoren nach einem Dia abzusuchen, das ich nach einem Seminar vergessen hatte; der Bibliothekar hätte mir praktisch die Kniescheibe zertrümmern lassen, wenn ich es nicht wiederbeschafft hätte. Außer meinem Dia (»Der Läufer« von Vittorio Corona) fand ich noch eines in dem Kasten: Es zeigte den Umschlag von
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