Troposphere
großes Zimmer ganz für sich, nicht wahr?«
Verdammt. Ich wusste, dass das eines Tages zur Sprache kommen würde.
»Es ist Saul Burlems Zimmer«, sage ich. »Ich besetze da eigentlich nur eine Ecke.«
Das ist eine Lüge. Als Burlem ein paar Monate lang verschwunden war, habe ich seinen Schreibtisch okkupiert, seinen Rechner auf den Beistelltisch gestellt und mir aus seinem Schreibtisch und meinem eine große L-förmige Konstruktion gebaut. Ich habe alle Regale mit meinen Büchern vollgestellt, falls ich je aus meiner Wohnung in der Stadt rausmüsste; und ich habe das Zimmer mit angeschimmelten Kaffeebechern und meinen ganzen Forschungsaufzeichnungen ziemlich zugemüllt. Ich habe eine ganze Schublade voller Sachen, die mir eines Tages noch nützlich sein könnten. Da liegen drei kleine Riegel Bitterschokolade, ein Kreuzschlitzschraubenzieher, ein normaler Schraubenzieher, eine Glühbirnenfassung, ein Schraubenschlüssel, ein Fernglas, ein paar Metallstücke, mehrere Plastiktüten und, am beunruhigendsten, ein Vibrator, den Patrick mir als pikantes Geschenk mit der Hauspost geschickt hat.
»Nun ja, da ziemlich klar ist, dass Saul in absehbarer Zukunft nicht zurückkommt, bedeutet das, dass ein großer Teil Ihres Raums nicht genutzt wird, oder?«
Ich kann nicht anders, als ihr beizupflichten, zumindest theoretisch.
»Richtig«, sagt Mary. »Hören Sie, alle Fachbereichsleiter haben sich einverstanden erklärt, zeitweilig Büroraum für den Teil des Universitätspersonals zur Verfügung zu stellen, der das Newton Building verlassen musste. Für die meisten von uns wird es ziemlich eng, aber es muss trotzdem getan werden. Wir haben uns bereit erklärt, vier aufzunehmen. Zwei werden sich das Besprechungszimmer teilen, und zwei werden zu Ihnen ins Zimmer kommen. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sage ich. Aber wahrscheinlich sehe ich entsetzt aus. Ich liebe mein Zimmer. Es ist der einzige wirklich warme und heimelige Ort, den ich auf der ganzen Welt habe.
»Kommen Sie, Ariel, ich bitte Sie nicht, Ihr Büro zu räumen oder etwas in der Art. Sie sollen es nur eine Weile teilen. Sie würden es ja ohnehin auch mit jemandem teilen, wenn Saul noch da wäre.«
»Ich weiß. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich beklage mich nicht oder …«
»Und wir müssen jetzt alle Verantwortung für die Evakuierten übernehmen.«
»Ja, ich weiß. Wie gesagt, es ist okay.« Ich beiße mir auf die Lippe. »Also … Wer ist es? Ist das schon entschieden? Ich meine, weiß man schon, mit wem ich mir das Zimmer teilen werde.«
»Nun ja.« Mary steht auf und nimmt ein Blatt Papier von ihrem Schreibtisch. »Sie können es sich aussuchen, wenn Sie wollen. Es gibt da … Mal sehen. Es gibt da einen Theologiedozenten, eine Forschungsstipendiatin in Evolutionsbiologie, einen Professor in Bakteriologie und einen Verwaltungsassistenten.«
Nun ja, ich werde keinen Bakteriologen in mein Büro lassen, obwohl er dort wahrscheinlich eine Menge Forschungsmaterial finden könnte. Und ich befürchte, ein Verwaltungsassistent könnte mein Büro mit denselben Augen betrachten wie ein Bakteriologe.
»Ähm«, sage ich. »Kann ich den Theologen und die Evolutionsbiologin haben?«
Mary schreibt etwas auf das Blatt und lächelt mich an. »Na also. Das ist doch gar nicht so schlecht, oder?«
Ich verlasse Marys Büro und frage mich, ob sie mit allen so spricht, als hätte sie es mit Kindern zu tun. Ich versuche, sie zu mögen, aber sie macht es mir nicht leicht. Sie hat wahrscheinlich ein Managementseminar gemacht, in dem man beigebracht bekommt, wie man Mitarbeiter »motiviert« und ihnen den Eindruck vermittelt, sie selbst hätten die schreckliche Entscheidung getroffen und müssten also damit leben. Oh, super. Weil ich immer noch nicht nach meiner Post gesehen habe, gehe ich ins Sekretariat, um das nachzuholen.
Yvonne weiß bereits Bescheid über die neue Büroaufteilung.
»Ich komme später runter und helfe Ihnen umzuräumen«, sagt sie zu mir. »Und Roger wird mit einem weiteren Schreibtisch und ein paar Regalen rumkommen. Wir werden Professor Burlems Rechner und den ganzen Kleinkram auf seinem Schreibtisch im Keller unterstellen. Vielleicht könnten Sie schon damit anfangen, ein paar Dinge auszusortieren …?«
Post ist keine für mich da.
Wann ist »später«? Wann es auch ist, es lässt mir weniger Zeit, in Burlems Rechner reinzukommen, als ich dachte, besonders jetzt, wo sie ihn in den Keller bringen wollen. Ich hebe ihn wieder auf den
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