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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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welcher Hinsicht?«
    »Ich meine, ich dachte, dass ich dich kenne, als wir uns heute zuerst trafen.«
    Ich atme tief ein: kalte Luft in meine Lunge. »Das dachte ich auch.«
    »Aber ich kenne dich nicht. Ich bin mir da sicher.«
    »Na ja …« Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht haben wir uns früher mal kennengelernt und es wieder vergessen.«
    »Das würde ich nicht vergessen. Ich würde nicht vergessen, dich kennengelernt zu haben.«
    »Adam …«, fange ich an.
    »Nichts sagen. Nur hinsehen.«
    Wir gehen gerade an dem Portal der Kathedrale vorbei. Wenn man stehen bleibt und dort hinschaut, wo Adam hochzeigt, kann man Jesus sehen, wie er herabsieht, in Stein gehauen.
    »Es ist erstaunlich«, sage ich, ohne nachzudenken. »Selbst wenn man an den ganzen Rest nicht glaubt, ist Jesus eine bemerkenswerte Figur.« Dann lache ich. »Das war blöd und banal. Tut mir leid. Ich bin mir sicher, dass sich niemand die Mühe macht, dem auch nur zu widersprechen.«
    »Du wärst überrascht«, entgegnet Adam.
    »Oh«, sage ich, als mir auf einmal einfällt, dass ich vorhin an derselben Stelle gestanden habe, aber mit Blick auf das Portal anstatt zu Jesus hoch. »Weißt du irgendwas über Weihwasser?«
    »Das ist eine komische Frage.«
    »Ich weiß.« Wir setzen unseren Weg fort und biegen in die kleine Straße mit Kopfsteinpflaster ein, die zu meiner Wohnung führt. Es kommt mir in den Sinn, dass wir vielleicht gemeinsam zu mir gehen und dann miteinander schlafen; das wäre möglich. Aber statt der üblichen Erregung verspüre ich etwas anderes: dasselbe Gefühl, das mich überkam, als ich vor ein paar Stunden auf meinen Bildschirm schaute und sah, wie schmutzig er war. Ich bin schmutzig, und ich bin dabei, etwas zu tun, das mir hilft, dem zu entfliehen. Aber wir gehen trotzdem in Richtung meiner Wohnung.
    »Was willst du wissen?«
    »Ähm, na ja, alles Mögliche, aber hauptsächlich, wo ich welches bekommen kann.«
    »Welches bekommen?« Ich kann in der Dunkelheit seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, aber ich kann das Stirnrunzeln in seiner Stimme hören. »Bist du katholisch?«
    »Nein. Ich bin überhaupt nicht religiös. Meine Mutter glaubte an Außerirdische.«
    »Ah.«
    »Ja. Aber warum fragst du?«
    »Nur Katholiken haben Weihwasser. Du findest es also in jeder katholischen Kirche.«
    »Nicht in der Kathedrale?«
    »Nein. Eher nicht.«
    »Ich war mir sicher, mich an Weihwasserbecken in der Kathedrale erinnern zu können. Ich wollte vorhin dort hineingehen, aber sie war abgeschlossen.«
    »Es gibt Weihwasserbecken. Aber die sind leer. Die anglikanische Kirche hat vor einigen Jahrhunderten das Weihwasser abgeschafft.«
    »Oh. Dann muss man es vermutlich tagsüber versuchen, wenn man Weihwasser aus einer katholischen Kirche bekommen will?«
    »Nein. Nicht immer. Du …« Er schweigt einen Moment. »Willst du jetzt welches haben?«
    »Vielleicht. Ja. Vielleicht. Ich weiß nicht.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Wahrscheinlich besser nicht. Es ist, na ja, etwas, das du wahrscheinlich nicht gutheißen würdest. Hast du schon mal von dem Physiker George Gamow gehört?«
    »Nein. Sollen wir ein Stück in die entgegengesetzte Richtung gehen, während du mir von ihm erzählst? Ich zeige dir, wo es Weihwasser gibt.«
    »Im Ernst?«
    »Ja. Ich habe einen Schlüssel zu St. Thomas. Hier entlang.«
    Ich folge ihm über einen Parkplatz und durch eine schmale Gasse auf die Burgate. Burlems Haus steht direkt gegenüber der Ringstraße hinter St. Augustine an einer mit Bäumen bestandenen Wohnstraße. Ich frage mich, wie das Haus jetzt aussieht. Ich stelle es mir mit Brettern vernagelt vor, und dann fällt mir ein, wie dumm das ist: Heutzutage vernagelt man Häuser nicht mehr mit Brettern. Vielleicht hat Burlem es verkauft. Vielleicht ist er sogar drinnen? Im letzten Jahr bin ich einmal hingegangen und habe an die Tür geklopft, aber niemand ist gekommen und hat sie aufgemacht. Adam und ich biegen nach links ab und gehen am Comicladen vorbei: ein ganzes Schaufenster voll mit Superhelden und Schurken, die Guten und die Bösen. Während wir so gehen, verbanne ich Burlem aus meinen Gedanken und erzähle Adam von George Gamow, wie er als Kind mal bei der Kommunion eine Hostie im Mund behielt, anstatt sie zu schlucken, und sie unter sein Mikroskop hielt, um nachzusehen, ob es einen Unterschied zwischen ihr und einer normalen Oblate gäbe. Ich erzähle Adam, dass das, was ich mit dem Weihwasser machen wollte, etwas Ähnliches sei – im

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