Troposphere
Grunde genommen sei es ein Experiment, das eher nicht im Einklang mit dem Geist des Katholizismus stehe. Dann stehen wir vor der Kirche.
»Ich kann gut verstehen, wenn du mich jetzt nicht reinlassen willst«, sage ich.
»Nein. Dein Experiment hört sich gut an. Und für mich spielt es ohnehin keine Rolle.«
In der Kirche ist es dunkel und riecht nach Weihrauch und kalten Steinen. Wir gehen nicht ganz hinein: Das Weihwasser befindet sich in einem kleinen Becken in der Nähe des Portals. Ich bemerke, dass Adam sich vor einem Bild der Jungfrau Maria bekreuzigt. Ich hole mein Fläschchen heraus.
»Ich bin mir sicher, dass du mich das hier nicht tun lassen solltest«, sage ich.
»Es ist nur Wasser«, erwidert Adam. »Es gibt keine Vorschrift, die besagt, dass man nichts davon mit sich nehmen darf. Und wie gesagt: All dies hier bedeutet nichts mehr für mich.«
Aber er schaut nicht zu, als ich das Fläschchen ins Weihwasserbecken tauche. Stattdessen geht er hinter meinem Rücken umher und fummelt an Broschüren und Exemplaren des »Catholic Herald« herum. An der Wand hängt ein Plakat, das die Wörter Kapelle des hl. Judas enthält. Adam hebt einen Finger und berührt es. Ich glaube, ihm ist nicht klar, dass ich ihn beobachte. Ich schaue weg.
»Darf ich fragen, warum du Schlüssel zur Kirche hast?«, frage ich ihn, als wir gehen.
»Oh, ich bin Priester. Oder zumindest war ich einer. Können wir jetzt zu dir gehen?«
Mit den Augen eines anderen gesehen muss meine Küche ein dunkler, bedrückender Ort sein, in dem es übel nach kaltem Zigarettenrauch und Knoblauch riecht. Auf dem Kaminsims steht außerdem ein Buch, auf dem ein Fluch liegt: ein schmales, blasses Bändchen, das man nicht mal bemerkt, wenn man jemand anderes ist.
»Tut mir leid«, sage ich zu Adam, als wir reinkommen.
Aber ich bin mir nicht sicher, was genau mir leidtut. Die dicke graue Staubschicht oben auf dem Türrahmen? Die kaputte Sofalehne? Die Brandflecken auf der alten Arbeitsplatte in der Küche? Das sich vom Boden lösende grüne Linoleum? Ich sehe diese Dinge nicht mal, wenn ich allein bin. Ich möchte ein Fenster öffnen, aber es ist zu kalt. Ich möchte alle Gasbrenner anstellen, wie ich es normalerweise tue, verzichte aber darauf.
»Tut mir leid, dass es so kalt ist«, sage ich.
»In meinem Apartment ist es unter null Grad«, sagt Adam. »Ich wohne auf dem Unigelände.«
»Tatsächlich? Wo denn?«
»Ich habe ein Zimmer im Shelley College. Es ist winzig und riecht die ganze Zeit nach Makkaroni und Käse. Das hier ist vergleichsweise luxuriös – glaub mir.«
»Möchtest du einen Kaffee?«
»Nur einen Schluck Wasser.«
Ich fülle für Adam ein Glas mit Leitungswasser und setze für mich Kaffee auf. Draußen fährt ein Zug vorbei, und das dünne Schiebefenster zittert leise. Ich sehe, wie sich in der Zimmerecke etwas Winziges bewegt – kaum da, ist es wieder verschwunden, wie ein Phantomteilchen. Eine Maus.
»Die Wohnung gefällt mir«, sagt Adam und setzt sich aufs Sofa.
Als mein Kaffee durch ist, setze ich mich neben ihn. Ich glaube, ich habe tatsächlich noch nie mit einem anderen Menschen auf diesem Sofa gesessen. Es kommt mir ein bisschen so vor, als säßen wir in einem Zug mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, beide sehr darauf bedacht, dass unsere Knie sich nicht berühren.
»Was ist mit der Kapelle des hl. Judas?«, frage ich ihn.
»Ach, das. Du hast es bemerkt.«
»Ich habe es nur auf der Wand in der Kirche gesehen. Ich habe den Namen schon früher gehört: hl. Judas. Wofür ist er als Heiliger zuständig?«
»Für die aussichtslosen Fälle. Die Kapelle ist in Faversham. Ich gehe immer dorthin, wenn …«
»Ja?«
»Einfach immer, wenn etwas schiefgeht. Aber du stellst mir nicht die naheliegende Frage.«
»Was für eine naheliegende Frage?«
»Wieso ich Priester bin.«
»Ich bin nicht sehr gut darin, solche Fragen zu stellen.«
Es entsteht eine Pause. Ich sollte etwas sagen; ich weiß, dass ich jetzt dran bin. Und ich will es auch wissen. Normalerweise würde ich alles darüber wissen wollen, wie das ist, Priester zu sein, und wie es möglich ist, ein Priester zu sein und andererseits doch nicht. Ich möchte ihn beispielsweise fragen, warum er sich immer noch bekreuzigt. Aber jetzt habe ich das Weihwasser und die Carbo veg, und es ist ganz wie damals, als ich ein Rasiermesser in einer Schachtel hatte und nur noch wollte, dass alle weggingen, damit ich allein war und tun konnte, was ich wollte.
»Stört es
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