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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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sich unter der Mülltonne verkrochen. Neue Strategie. Das Spiel ist noch nicht vorbei. Ich kauere mich zusammen, und mein Rücken ist eine perfekte Wölbung: eine Schulter ein wenig höher als die andere, meine linke Tatze vor meiner rechten. Ich werde dir den Schädel zertrümmern, und es ist mir egal, wie lange ich vorher mit dir tanzen muss. Ich bin … Du bist verschwunden. Wo bist du? Wo ist mein Scheißfressen …?
    Die Maus ist verschwunden. Sie ist sicher. In meinem Kopf findet jetzt im selben Zimmer ein Begräbnis und ein Freudenfest statt.
    Konsole. Jetzt muss ich wirklich hier raus. Das Ding taucht wieder in meinem Blickfeld auf, ruckt hin und her, während mein Anhalter-Bewusstsein sich mit der Katze auf und ab bewegt, zur Wand trottet und dann – wow – an ihr hochspringt. Gott, das hat mir gefallen. Aber ich muss hier raus. Ich habe eine Maus gerettet, aber es gibt immer noch eine, die freigelassen werden muss. Ich lasse meine Blicke wieder über die Benutzeroberfläche schweifen, wobei ich die milchigen Bilder in der Mitte nicht beachte. Das Einzige, was übrig bleibt, ist das blaue Objekt/Bild, und deshalb richte ich meine Gedanken darauf. Jetzt aufhören?, fragt die weibliche Stimme, die ich von vorhin kenne. Ja, denke ich. Ja, ja, ja … Eine Tür erscheint vor mir, und ich bin wieder ich, drehe den Knauf und gehe auf zwei schweren Beinen hindurch, ohne Schwanz. Aber ich erkenne diese Wohnung nicht wieder. Ich scheine mich in einem langen Gang mit grauem Teppichboden und beigefarbenen Wänden zu befinden. Oh, Mist. Wo ist die Feuertreppe? Wie komme ich hier raus?
    Ich gehe durch den leeren Korridor, an Anschlagbrettern, an denen nichts hängt, und strahlend weißen Bürotüren vorbei, bis ich in eine Vorhalle mit vier Aufzügen komme. An den Wänden hängt nichts, von einem Notausgangsschild abgesehen: ein grünes Strichmännchen und ein grünes Strichmännchen in einem Rollstuhl, die sich beide auf einen hellen weißen Ausgang zubewegen. Das Strichmännchen gewinnt. Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, drücke ich auf den Knopf für den Aufzug. Sofort fahren alle vier Schiebetüren auf. Ich muss lächeln. Ist wirklich niemand außer mir hier im Haus? Eine ganze Stadt für mich – wenn ich überhaupt in derselben Stadt bin, in der ich anfangs war. Aber ich kann nicht bleiben: Ich muss zurück. Ich nehme aufs Geratewohl den dritten Aufzug von links und drücke auf E. Der Aufzug fährt schneller nach unten, als mir lieb ist, aber mir wird nicht schlecht. Ich fühle immer noch nichts. Als ich im Erdgeschoss aussteige, stehe ich vor einer Drehtür, durch die ich wieder auf die Straße komme. Und dann sehe ich etwas Seltsames: Eine kleine weiße Visitenkarte liegt da auf dem Boden. In einer normalen Stadt würde es nicht seltsam wirken, wenn sie auf einem von Kaugummiflecken übersäten Bürgersteig zwischen alten Chips-Tüten, Zigarettenkippen, Quittungen und Fetzen von Zeitungspapier läge. In einer normalen Stadt würde man sie nicht bemerken. Aber hier sticht sie wirklich ins Auge. Ich bücke mich und hebe sie auf. Der Name Apollo Smintheus ist mit brauner Tinte daraufgeschrieben. Sonst nichts. Ich stecke sie in die Tasche meiner Jeans.
    Ich stehe auf einer verlassenen Hauptstraße, die mit stillen Bürohochhäusern gesäumt ist. Es gibt Hinweisschilder auf die U-Bahn, aber da es keinen Verkehr gibt, überquere ich die Straße und klettere über die Leitplanke, die die beiden Fahrbahnen trennt. Jetzt könnte ich nach links oder rechts oder geradeaus gehen, durch eine kleinere Straße. Irgendwas an der kleineren Straße kommt mir bekannt vor, also gehe ich geradeaus, furchtsam, aber ohne tatsächlich Furcht zu empfinden, als beobachtete ich mich selbst in einem Film, bis ich die Gasse zu meiner Rechten mit all den Feuertreppen erkenne. Diese Gasse war vorhin auf meiner linken Seite. Jetzt verstehe ich. Irgendwie bin ich in dem großen Gebäude gelandet, das sich direkt vor mir befand, als ich hier eintraf. Um zurückzukommen, muss ich also vermutlich nur weiter geradeaus gehen, die Straße hinunter und dann – ja – in den Tunnel mit den Nullen und Einsen und all den Buchstaben aller Alphabete, die ich je gesehen habe. Dann öffne ich die Augen.
     
    Zurück auf dem Sofa. Ich lebe. Ich bin zu Hause. Ich bin ein Mensch. Mir ist kalt. Ich muss pinkeln. Das Gefühl der Enttäuschung, das mich oft befällt, wenn ich aus normalen Träumen wieder erwache, hat sich nun in etwas anderes

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