Troposphere
– das andere Ich – ist vor Stunden in Panik geraten. Sie kann nicht das tun, was sie in solchen Situationen sonst immer tut, nämlich schnell wegzulaufen und nach einem dunklen und bequemen Versteck Ausschau zu halten. Aber es ist nicht leicht, von diesem Wesen, diesem Ding, von dem ich jetzt ein Teil bin, als »sie« zu denken. Mein Fell (»Mein Fell«? Na ja, so scheint es zu sein) riecht jetzt nach Angst: ein feuchter, süßer, keksartiger Geruch. Und ich kenne diesen Geruch von den anderen, von denen, die mit Bissspuren auf ihren Körpern zurückkommen.
Zoom dich da raus. Bleib in der dritten Person. Um Gottes willen, Ariel, du bist keine Maus. Aber ich bin doch eine. Ich weiß, wie ich mein Fell putze. Ich bin ein paarmal schwanger gewesen (Ich glaube nicht, dass sie zählen kann, aber ich kann es. Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine Sprache hat, aber ich habe sie. Ich kann Dinge in Erinnerungen zählen, von denen sie vielleicht nicht mal weiß, dass sie sie hat). Ich erinnere mich an das schmerzhafte Gefühl beim Gebären, als ob man auf einen ganz frischen Bluterguss drückt. Ich weiß, dass ich hier sterben werde, aber ich kann doch bestimmt nicht wissen, was Tod ist, oder? Nur Elefanten begreifen den Tod … Wo habe ich das gelesen? Keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin, aber ich will raus. Lasst mich raus! Ich versuche zu schreien, aber alles, was ich höre, ist der schnelle Atem der Maus, ihr Herz schlägt anstelle meines Herzens.
Was mache ich jetzt? Ich weiß, wie ich mich in diesen Situationen zur Ruhe bringe. Ich habe in überfüllten U-Bahn-Zügen und Aufzügen gestanden und gedacht: Jetzt ist es nicht mehr lange, und: Tief atmen! Aber mein Bewusstsein ist mit diesem hier verschmolzen, und ich weiß, weil sie es weiß, dass dies Gefahr bedeutet, dass es dringend erforderlich ist, jetzt zu fliehen. Aber wir können uns nicht bewegen. Mist, Mist, Mist. Wie komme ich hier raus? Wo sind all diese Informationen, von denen Mr. Y sagte, er hätte sie an den Rändern seines Gesichtsfeldes gesehen? Während ich das denke, wird mit einem Schlag etwas wie die Benutzeroberfläche eines Rechners sichtbar. Jetzt kann ich sehen, was die Maus sieht – ein großer Raum, durch die Plastikwand verzerrt und bräunlich illuminiert (obwohl sie das nicht versteht und glaubt, sie sei irgendwo, wo sie noch nie gewesen ist, weil in dieser Plastikkiste sogar der Geruch anders ist) –, aber mit einer Einblendung: eine Konsole, auf der ich zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen kann. Es ist schwer zu beschreiben, wie das aussieht, weil ich keine Ahnung habe, wie es funktioniert. Nichts darauf ist mir vertraut. Ich weiß nicht, wie man das Ganze bedient. Aber dieses Ding, diese Konsole scheint zu kommen, wenn ich danach rufe. Und vermutlich wird sie mich hier rausbefördern.
In der oberen rechten Ecke meines Blickfeldes ist ein blaues Quadrat, das glitzert, wenn ich darauf schaue (meine Gedanken dahin lenke?). Der Rest des »Bildschirms« ist voll kleiner milchiger Quadrate, von denen jedes undeutlich eine Landschaft zeigt, die ich nicht erkenne. Es ist, als ob hundert Dokumentarfilme gleichzeitig auf eine Leinwand projiziert würden. Was sind das für Bilder? Während ich meine Blicke darüberschweifen lasse, wird jedes einzelne für einen Moment heller, wie ein Link im Internet, und ich begreife (ich weiß nicht, wie), dass ich mir aussuchen kann, in welches von ihnen ich hineinspringen will: vermutlich, um das zu vollziehen, was Lumas als Pedesis bezeichnete. Aber ich will das nicht tun. Ich muss hier raus – aus der Troposphäre – und die Maus aus ihrer Falle befreien. Ich schaue mir wieder die milchigen Bilder an. Eins von ihnen fasziniert mich mehr als die anderen: Die Landschaft scheint außerirdisch zu sein. Aber – o nein – in dem Moment, als meine Gedanken darauf ruhen und ich denke: Das sieht interessant aus, beginnt etwas zu passieren. Ich verschwimme – das ist das einzige Verb, das mir einfällt – aus dieser Wirklichkeit in eine andere. Ich denke: Stopp! Das habe ich nicht gewollt! Aber es ist zu spät.
Wenigstens sitze ich nicht mehr in der Falle.
Jetzt tapsen meine Pfoten über eine kalte, harte Oberfläche. Ich merke, wie mein Hinterteil schwankt, während meine Pfoten den Boden berühren: vorne rechts, hinten links, vorne links, hinten rechts. Ich habe einen Schwanz, den ich bewegen kann! Das kommt mir zugleich vertraut und unvertraut vor: etwas, das ich schon immer hatte; etwas,
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