Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
aufliegenden Formulare. Es war ein Nachsendeauftrag. Er benutzte den angeketteten Kugelschreiber, beugte sich über das Formular und gab vor, es auszufüllen. Er drehte seinen Körper etwas zur Seite, ließ den Unterarm auf der Schreibfläche ruhen und bewegte seine Hand wie schreibend. Sah zu Neagley hinüber. In zwei, drei Minuten würde sie drankommen. Er nutzte die Zeit, um die in Reihen angeordneten Schließfächer zu begutachten.
Sie nahmen die gesamte Rückwand des Schalterraums ein. Es gab sie in drei Größen. Klein, mittel, groß. Sechs Reihen kleine Fächer, darunter vier Reihen mittlere, dann bis zum Fußboden drei Reihen große. Hundertachtzig kleine, sechsundneunzig mittlere und vierundfünfzig große Fächer. Insgesamt dreihundertdreißig Schließfächer.
Welches gehörte Franz?
Bestimmt eines der großen. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit musste Franz immer ziemlich viel Post bekommen haben. Ein Teil davon hatte sicher aus großformatigen Briefsendungen bestanden. Kreditauskünfte, Bankunterlagen, Gerichtsprotokolle, auch Fotos im Format achtzehn mal vierundzwanzig. Große, steife Umschläge. Folglich ein großes Schließfach.
Aber welches große Fach?
Das ließ sich unmöglich sagen. Hätte Franz die Wahl gehabt, hätte er ganz oben, drei Reihen über dem Fußboden, das äußerste rechte Fach genommen. Wer will von der Straße kommend weiter als nötig in den Schalterraum hinein und gar auf dem Linoleum in die Hocke gehen? Aber Franz hatte bestimmt keine Wahl gehabt. Wer ein Postschließfach will, muss nehmen, was gerade verfügbar ist. Man folgt jemandem nach. Jemand stirbt oder zieht weg, sein Fach wird frei, man erbt es. Losglück in einer Lotterie. Eine Chance von vierundfünfzig.
Reacher steckte seine linke Hand in die Tasche und betastete Franz’ Schlüssel. Vermutlich würde er zwei bis drei Sekunden pro Schloss brauchen. Das waren schlimmstenfalls fast drei Minuten, in denen er die Schließfächer abklappern würde. Sehr exponiert. Und noch schlimmer war die Vorstellung, er könnte versuchen, ein Fach vor seinem eben von der Straße hereingekommenen rechtmäßigen Besitzer aufzuschließen. Fragen, Beschwerden, Geschimpfe, Anrufe bei der Polizei, potenziell ein nach Bundesgesetzen strafbares Vergehen. Reacher bezweifelte nicht, dass er den Schalterraum würde verlassen können, ohne aufgehalten zu werden, aber er wollte nicht mit leeren Händen gehen.
Er hörte Neagley sagen: »Guten Morgen.«
Er sah nach links und stellte fest, dass sie an die Spitze der kleinen Schlange gelangt war. Sah, wie sie sich etwas nach vorn beugte, um die gesamte Aufmerksamkeit des Postmenschen auf sich zu lenken. Sah, dass der Kerl nur noch Augen für sie hatte. Er ließ den Kugelschreiber fallen und zog den kleinen Schlüssel aus der Tasche. Trat unauffällig an die Schließfachwand und versuchte es mit dem äußersten linken Fach in der dritten Reihe von unten.
Fehlanzeige.
Reacher drehte den Schlüssel nach links und rechts. Keine Bewegung. Er zog ihn heraus und versuchte es mit dem Schloss darunter. Fehlanzeige. Und mit dem Schloss darunter. Fehlanzeige.
Neagley hatte eine lange komplizierte Frage zu Luftpostsendungen. Sie stand leicht über den Schalter gebeugt da. Sie verlieh dem Postangestellten das Gefühl, der wichtigste Mensch der Welt zu sein. Reacher trat einen halben Schritt nach rechts und versuchte es mit dem nächsten Fach in der dritten Reihe von unten.
Fehlanzeige.
Vier abgehakt, noch fünfzig zu überprüfen. Zwölf Sekunden verbraucht, die Chancen jetzt von null Komma fünfundachtzig Prozent auf zwei Prozent verbessert. Er versuchte es mit dem Schloss darunter. Fehlanzeige. Er ging in die Hocke und versuchte es mit dem unteren Fach.
Fehlanzeige.
Er blieb in der Hocke und bewegte sich ein kleines Stück nach rechts. Begann die nächste senkrechte Reihe von unten nach oben. Kein Glück mit dem unteren Fach. Kein Glück mit dem mittleren. Kein Glück mit dem dritten von unten. Neun abgehakt, fünfundzwanzig Sekunden verstrichen. Neagley redete noch immer. Dann nahm Reacher wahr, dass eine Frau sich links an ihm vorbeiquetschte. Sie sperrte ihr Fach in einer der oberen Reihen auf. Zog einen Wust von Briefen und Drucksachen heraus. Blieb stehen, um ihre Post gleich zu sortieren. Verschwinde, forderte er sie stumm auf. Geh zum Papierkorb . Sie wandte sich ab. Reacher trat nach rechts und nahm sich die vierte senkrechte Reihe vor. Neagley schwatzte weiter. Der Postangestellte
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