Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
diesem zweieinhalb Meter langen Esstisch mit seiner bodenlangen roten Samtdecke lagen mehrere Stapel Tarotkarten. Die Kartenlegerin hatte schulterlange schwarze Haare und trug ein lila Kleid aus indischer Baumwolle, dessen Pflanzenfarbe vermutlich grässlich abfärbte.
»Haben Sie ein Hinterzimmer?«, fragte Reacher sie.
»Nur eine Toilette«, sagte sie.
»Gehen Sie dort rein, und legen Sie sich auf den Boden. Sofort!«
»Was ist denn los?«
»Das könnte ich Sie fragen.«
Die junge Frau bewegte sich nicht, bis O’Donnell seine Hände aus den Taschen zog. Der Schlagring an seiner rechten Faust blitzte wie ein grinsender Hai. Das Springmesser in seiner linken Hand war noch geschlossen. Dann schnappte es mit einem Geräusch auf, als zerbräche ein Knochen. Die Kartenlegerin sprang auf und flüchtete. Eine Latina, die in der Vine Street arbeitete. Sie kannte die Spielregeln.
O’Donnell fragte: »Wer sind die Männer?«
»Sie haben mir gerade diese T-Shirts gekauft.«
»Kann’s Probleme geben?«
»Möglicherweise.«
»Plan?«
»Gefallen dir die Hardballer?«
»Besser als nichts.«
»Also gut.« Reacher hob die Tischdecke hoch, ließ sich auf die Knie nieder und rutschte rückwärts unter den Tisch. O’Donnell folgte ihm auf der linken Seite und zog die Decke wieder zurecht. Als er sie leicht mit seinem Messer berührte, erschien vor seinen Augen ein Schlitz, den er mit den Fingern etwas verbreiterte. Dann schnitt er auch für Reacher einen Sehschlitz in die Tischdecke. Reacher stemmte beide Hände flach gegen die Unterseite des schweren Tischs. O’Donnell nahm sein Springmesser in die Rechte und stemmte sich mit der Linken wie Reacher ein.
Dann warteten sie.
Die beiden Kerle waren in ungefähr acht Sekunden an der Tür. Sie blieben stehen und spähten durch den Glaseinsatz, bevor sie die Tür öffneten und hereinkamen. Blieben sichernd stehen: zwei Meter vor dem Tisch, mit parallel auf den Fußboden gerichteten Waffen.
Sie machten vorsichtig einen weiteren Schritt in den Raum hinein.
Blieben erneut stehen.
O’Donnells Rechte steckte in dem Schlagring und hielt das Springmesser, aber sie war die einzige freie Hand unter dem Tisch. Er benutzte sie für den Countdown. Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger. Eins, zwo, drei.
Bei drei schleuderten Reacher und O’Donnell den Tisch mit explosiver Wucht in einem Viertelkreis hoch und nach vorn. Die senkrecht auftreffende Tischplatte schlug den Kerlen als Erstes die Pistolen aus den Händen; dann bewegte sie sich weiter und traf Brust und Gesicht der beiden. Der Tisch war schwer. Massivholz. Vielleicht sogar Eiche. Er legte die Männer mühelos flach. Die beiden knallten in einer Wolke aus Tarotkarten auf den Rücken und blieben mit rotem Samt drapiert unter der Tischplatte liegen. Reacher stand auf, stellte sich wie ein Surfer auf den umgekippten Tisch und sprang dann ein paarmal hoch.
O’Donnell passte die Augenblicke ab, in denen Reacher in der Luft war, um den Tisch mit einigen Tritten so weit zurückzuschieben, dass Oberkörper und Hände der beiden Kerle sichtbar wurden. Er nahm ihnen die Hardballer ab und benutzte sein Springmesser dazu, den Kerlen den Daumenballen zu zerschneiden. Schmerzhafte Wunden, die verhindern würden, dass sie wieder eine Pistole hielten, bevor ihre Verletzungen geheilt waren, was von Wundpflege und Ernährung abhängig war und lange dauern konnte. Reacher grinste kurz. Diese Methode hatte zu den Standardverfahren seiner Einheit gehört. Dann verschwand sein Grinsen, weil ihm einfiel, dass Jorge Sanchez sie entwickelt hatte – und dass Jorge Sanchez jetzt irgendwo tot in der Wüste lag.
»War kein großes Problem«, sagte O’Donnell.
»Wir können’s noch«, sagte Reacher.
O’Donnell verstaute seine Waffen aus Keramikmaterial wieder und steckte sich eine Hardballer unter seinem Jackett in den Hosenbund. Die zweite Pistole gab er Reacher, der sie in die Hüfttasche schob und seine T-Shirts darüberzog. Dann traten sie wieder in den Sonnenschein hinaus, gingen auf der Vine Street nach Norden weiter und bogen am Hollywood Boulevard nach Westen ab.
Im Château Marmont erwartete Karla Dixon sie in der Hotelhalle.
»Curtis Mauney hat angerufen«, sagte sie. »Franz’ Posttrick hat ihn auf eine Idee gebracht. Er hat seine Kollegen in Vegas nochmals Sanchez’ und Orozcos Büro durchsuchen lassen. Und sie haben etwas gefunden.«
40
Eine halbe Stunde später kreuzte Mauney selbst auf. Er kam durch die Drehtür herein: wie
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