Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
ganze Nacht lang verlor.
Reachers Zimmer lag im sechzehnten Stock. Es war ein düsterer Betonwürfel, dessen Einrichtung einen alten venezianischen Salon vorspiegeln sollte. Insgesamt nicht sehr überzeugend, wenn man wie Reacher Venedig kannte. Er klappte seine Zahnbürste auf und stellte sie in ein Glas auf der Spiegelablage im Bad. Damit war das Auspacken beendet. Er spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht, fuhr sich mit den Handflächen über seinen Bürstenhaarschnitt und fuhr wieder nach unten, um sich schon einmal umzusehen.
Selbst in einem teurem Hotel wie diesem waren die meisten Flächen im Erdgeschoss für Spielautomaten reserviert. Geduldig, unermüdlich und von Mikroprozessoren gesteuert schöpften sie einen kleinen, aber stetigen Prozentsatz des Geldstroms ab, der sich vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche in sie ergoss. Piep- und Klingelzeichen ertönten. Viele Leute gewannen, aber etwas mehr verloren. Die Überwachung ging sehr dezent vonstatten. Wegen der strengen Glücksspielaufsicht des Staates Nevada und weil an Maschinen gespielt wurde, gab es hier kaum Gelegenheit zu stehlen oder zu betrügen. Von den Hunderten Menschen im Saal konnte Reacher nur zwei als Aufsichtspersonal identifizieren. Einen Mann und eine Frau, die wie alle anderen gekleidet waren und so gelangweilt wie alle anderen wirkten – jedoch ohne den hoffnungsvoll glänzenden Blick der Spieler.
Sanchez und Orozco hatten sich bestimmt nicht lange mit Spielautomaten aufgehalten.
Er ging in die nach hinten hinaus liegenden Säle weiter, in denen Roulette, Poker und Blackjack gespielt wurden. Er richtete den Blick nach oben und entdeckte Überwachungskameras. Sah nach links und rechts sowie nach vorn und sah risikofreudige Spieler, Sicherheitspersonal und Nutten in immer größerer Zahl.
Er blieb an einem Roulettetisch stehen. Aus seiner Sicht unterschied Roulette sich nicht wesentlich von Spielautomaten – solange der Kessel in Ordnung war. Die Gäste setzten Geld in Form von Chips, und der Roulettekessel verteilte es bis auf den automatisch abgezogenen Anteil des Hauses sofort wieder an andere Gäste. Das tat er so unermüdlich und zuverlässig wie der Mikroprozessor eines Spielautomaten.
Sanchez und Orozco hatten sich bestimmt nicht lange mit Roulette aufgehalten.
Er ging zu den Kartentischen weiter, an denen es vermutlich am spannendsten war. Kartenspiele waren die einzige Glücksspielsparte, in der menschliche Intelligenz wirklich eingesetzt werden konnte. Und wo menschliche Intelligenz eingesetzt wurde, folgten sehr bald Verbrechen nach. Aber für ein wirkliches Verbrechen wäre mehr als nur ein Spieler nötig gewesen. Ein Spieler, der Selbstdisziplin mitbrachte, über ein sehr gutes Gedächtnis verfügte und statistisches Grundwissen besaß, konnte seine Gewinnchancen erheblich verbessern. Aber das war kein Verbrechen. Und damit konnte kein Mensch in vier Monaten fünfundsechzig Millionen verdienen. So hoch waren die Gewinne einfach nicht. Um sie in solcher Größenordnung zu ermöglichen, hätte der ursprüngliche Einsatz dem Bruttosozialprodukt eines Kleinstaats entsprechen müssen.
Fünfundsechzig Millionen in vier Monaten hätten das Mitwirken eines Kartengebers erfordert. Und ein Geber, der so viel verlor, wäre binnen einer Woche geflogen. Vielleicht sogar binnen eines Tages oder einer Stunde. Eine vier Monate anhaltende Glückssträhne hätte einen Großbetrug erfordert. Geheime Absprachen. Betrügerische Machenschaften. Dutzende von Gebern, Dutzende von Spielern. Vielleicht sogar Hunderte von Gebern und Spielern.
Vielleicht spielte das ganze Haus gegen seine Besitzer.
Vielleicht tat das die ganze Stadt.
Das wäre eine Sache gewesen, die Tote zur Folge gehabt hätte.
Hier gab es reichlich Sicherheitsmaßnahmen. Über wachungskameras – manche groß und auffällig, andere klein und diskret – waren auf Geber und Spieler gerichtet. Vermutlich existierten noch weitere, die unsichtbar installiert waren. Männer und Frauen patrouillierten in Abendkleidung und mit Ohrhörern und Handgelenkmikrofonen wie Secret-Service-Agenten durch den Saal. Außerdem lief zusätzliches Sicherheitspersonal in unauffälliger Kleidung herum. Reacher entdeckte binnen einer Minute fünf weitere Sicherheitsleute und nahm an, viele übersehen zu haben.
Er machte sich wieder auf den Rückweg in die Hotelhalle. Dort fand er Karla Dixon vor, die an einem der Brunnen wartete. Sie hatte geduscht und trug statt Jeans
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