Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
Reacher alle Frauen, ob ihr Name Milena sei. Alle sagten Nein.
Dann wurde es auf dem Gehweg wieder still.
U m neun vor zwölf tauchte die nächste Gruppe auf. Reacher erkannte, dass er den Busfahrplan in Aktion beobachtete. Drei Frauen schlenderten an ihnen vorbei. Jung, müde, unauffällig gekleidet, mit großen weißen Sneakers an den Füßen.
Keine von ihnen hieß Milena.
Die Uhr in Reachers Kopf lief weiter. Eine Minute vor zwölf. Neagley sah auf ihre Armbanduhr.
»Machst du dir schon Sorgen?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte Reacher, weil er über ihre Schulter hinweg eine junge Frau entdeckte, die Milena sein musste. Sie war ungefähr fünfzig Meter weit entfernt, hatte es ein bisschen eilig. Sie war klein und zierlich, ein südländischer Typ, und trug ausgebleichte Low-rider-Jeans und ein kurzes T-Shirt. In ihrem Nabel glitzerte ein falscher Edelstein. Über einer Schulter trug sie einen blauen Nylonrucksack. Pechschwarzes langes Haar umrahmte das hübsche Gesicht einer Zwanzigjährigen. Aber nach ihrer Art, sich zu bewegen, schätzte Reacher sie eher auf dreißig. Sie wirkte müde und schien in Gedanken woanders zu sein.
Sie sah unglücklich aus.
Als sie bis auf fünf Meter herangekommen war, erhob sich Reacher von der Mauer und fragte: »Milena?« Sie machte mit der plötzlichen Besorgnis halt, die jede Frau empfinden würde, wenn sie auf der Straße von einem großen unbekannten Mann angesprochen würde. Sie schaute nach vorn zum Eingang der Bar und dann zum anderen Gehsteig hinüber, als versuchte sie, sich ihre Chancen für eine rasche Flucht auszurechnen. Dabei stolperte sie leicht, wie zwischen ihrem Bedürfnis, stehen zu bleiben, und ihrem Fluchtbedürfnis hin- und hergerissen.
Reacher sagte: »Wir sind Freunde von Jorge.«
Sie sah ihn an, dann betrachtete sie die anderen, dann blickte sie wieder zu ihm auf. In ihrer Miene zeichnete sich allmähliches Verstehen ab: erst Verwirrung, dann Hoffnung, dann Ungläubigkeit und zuletzt Akzeptanz. Wie bei einem Pokerspieler, vermutete Reacher, wenn er in seinem Blatt das vierte Ass aufdeckt.
In ihrem Blick lag eine Art stummer Befriedigung, als hätte eine Hoffnung sich entgegen allen Erwartungen als wahr erwiesen.
»Sie sind von der Army«, sagte sie. »Er hat mir erzählt, dass Sie kommen würden.«
»Wann?«
»Oh, dauernd. Er hat gesagt, wenn er jemals Schwierigkeiten hätte, würden Sie früher oder später aufkreuzen.«
»Und jetzt sind wir da. Wo können wir miteinander reden?«
»Ich will drinnen nur rasch sagen, dass ich heute etwas später komme.« Sie lächelte ein wenig verlegen, machte einen Bogen um die vier und verschwand in der Bar. Kam drei Minuten später wieder heraus, bewegte sich rascher, trug den Kopf höher und hatte die Schultern gestrafft, als wäre eine Last von ihr abgefallen. Als wäre sie nicht länger allein. Sie wirkte jung, aber lebenstüchtig. Sie hatte klare braune Augen, einen glatten Teint und die schmalen, sehnigen Hände einer Frau, denen schwere Arbeit nicht fremd war.
»Lassen Sie mich raten«, sagte die junge Frau. Sie sah zu Neagley. »Sie müssen Neagley sein.« Sie nickte Dixon zu. »Also sind Sie Karla.« Dann wandte sie sich Reacher und O’Donnell zu und sagte: »Reacher und O’Donnell, stimmt’s? Der Große und der Gutaussehende.« O’Donnell lächelte ihr zu. Sie schaute wieder zu Reacher auf und sagte: »Ich habe gehört, dass Sie letzte Nacht hier nach mir gefragt haben.«
Reacher sagte: »Wir wollten mit Ihnen über Jorge reden.«
Milena holte tief Luft, schluckte und fragte: »Er ist tot, stimmt’s?«
»Wahrscheinlich«, antwortete Reacher. »Dass Manuel Orozco tot ist, wissen wir bestimmt.«
Die junge Frau sagte: »Nein!«
Reacher sagte: »Tut mir leid.«
Dixon fragte: »Wo können wir hingehen, um miteinander zu reden.«
»Am besten gehen wir zu Jorge«, schlug Milena vor. »In seine Wohnung. Sie sollten sie sehen.«
»Wir haben gehört, dass sie verwüstet worden ist.«
»Ich habe ein bisschen aufgeräumt.«
»Ist’s weit bis dorthin?«
»Wir können zu Fuß gehen.«
Sie liefen zu fünft in einer Reihe nebeneinander den Strip entlang zurück. Die Großbaustelle war noch immer verwaist. Keine Aktivitäten. Andererseits auch kein Auflauf. Und keine Cops. Milena fragte noch zweimal, ob Sanchez wirklich tot sei, als könnte die Wiederholung dieser Frage irgendwann die gewünschte Antwort bringen. Beide Male antwortete Reacher: »Wahrscheinlich.«
»Aber Sie wissen’s nicht
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