Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
bestimmt?«
»Seine Leiche ist noch nicht gefunden worden.«
»Aber Orozcos schon?«
»Ja. Wir haben sie gesehen.«
»Was ist mit Calvin Franz und Tony Swan? Warum sind sie nicht hier?«
»Franz ist tot. Swan vermutlich auch.«
»Bestimmt?«
»Franz bestimmt.«
»Aber nicht Swan?«
»Nicht sicher.«
»Und auch Jorge nicht bestimmt?«
»Nicht bestimmt. Aber wahrscheinlich.«
»Okay.« Sie ging weiter, weigerte sich zu kapitulieren, weigerte sich, die Hoffnung aufzugeben. Sie passierten ein Luxushotel nach dem anderen und durchquerten auf wenigen hundert Metern Strecke gezeichnete Kopien der großen Städte der Welt. Dann sahen sie Apartmentgebäude. Milena führte sie nach links, dann wieder nach rechts auf eine Parallelstraße. Sie blieb im Schatten der Markise stehen, unter der sich der Eingang eines Gebäudes befand, das vier Renovierungszyklen zuvor die beste Adresse der Stadt gewesen sein mochte.
»Hier wohnt er«, sagte sie. »Ich habe einen Schlüssel.«
Milena ließ ihren Rucksack von der Schulter gleiten, wühlte darin herum und brachte eine Geldbörse zum Vorschein. Sie zog den Reißverschluss auf und holte einen leicht angelaufenen Messingschlüssel heraus.
»Wie lange haben Sie ihn gekannt?«, fragte Reacher.
Sie machte eine lange Pause, als würde sie darüber nachdenken, ob sie die Vergangenheitsform benutzen müsse, und versuchen, eine Möglichkeit zu finden, sie weniger definitiv klingen zu lassen.
»Wir haben uns vor ein paar Jahren kennengelernt«, sagte sie.
Die junge Frau führte sie in die Eingangshalle. Dort saß ein Portier an einem Schreibtisch. Er begrüßte sie, als würde er sie schon länger kennen. Milena ging zum Aufzug voraus. Sie fuhren in den neunten Stock und wandten sich in dem Korridor nach rechts. Blieben vor einer grün gestrichenen Wohnungstür stehen.
Milena benutzte ihren Schlüssel.
Das Apartment war keine riesige Luxuswohnung, aber auch nicht klein. Zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, Küche und Bad. Schlicht möbliert, hauptsächlich weiß, nur wenige kräftige Farben, ein bisschen altmodisch. Riesige Fenster. Früher musste die Aussicht auf die Wüste atemberaubend gewesen sein, aber heute versperrte einem ein neuerer Wohnblock in der nächsten Querstraße den Blick.
Die Wohnung eines Mannes: nüchtern, schmucklos, in keiner Weise modern.
Und völlig verwüstet.
Sie hatte Ähnliches mitgemacht wie Calvin Franz’ Büro in der Ladenzeile. Wände, Boden und Decke bestanden aus Beton und hatten deshalb nicht gelitten, aber ansonsten war sie ähnlich demoliert. Alle Polster waren aufgeschlitzt, alle Möbel kurz und klein geschlagen. Sessel, Sofas, ein Schreibtisch, ein Tisch. Überall lagen Bücher, Papiere und CD s verstreut. Der Fernseher und die Stereoanlage waren zertrümmert, Teppiche aufgehoben und zur Seite geworfen worden. Die Küche war nahezu völlig zerstört.
Milenas Aufräumen hatte sich darauf beschränkt, einige Trümmer am Rand zu stapeln und einen Bruchteil der Daunen wieder in die aufgeschlitzten Polster zu stopfen. Einen kleinen Teil der Bücher und Papiere hatte sie vor den zertrümmerten Regalen, aus denen sie stammten, aufgetürmt. Ansonsten hatte sie nicht viel tun können. Eine hoffnungslose Aufgabe.
In der Küche fand Reacher den Mülleimer, in dem nach Curtis Mauneys Auskunft die zerknüllte Serviette lag. Der Eimer war aus seiner Halterung unter dem Ausguss gerissen und mit einem Fußtritt quer durch den Raum befördert worden. Sein Inhalt schien zum Teil herausgefallen zu sein, zum Teil auch nicht.
»Hier haben sich Leute mehr abreagiert, als effizient zu suchen«, erklärte Reacher. »Zerstörung praktisch um ihrer selbst willen. Als wären sie ebenso wütend wie besorgt gewesen.«
»Genau«, sagte Neagley.
Reacher öffnete die Tür, die ins Elternschlafzimmer führte. Das Bettgestell war zertrümmert, die Matratze aufgeschlitzt. Die Sachen aus dem Kleiderschrank lagen auf dem Boden verstreut. Die Kleiderstangen waren verbogen, die Regalbretter herausgerissen. Jorge Sanchez war von Natur aus ein ordentlicher Mensch gewesen, und diese Eigenschaft wurde durch seine Dienstzeit in der Army noch gefördert. Nichts von ihm schien in seiner Wohnung mehr übrig zu sein. Keine Spur, kein Echo.
Milena bewegte sich ziellos durch die Wohnung, schichtete weitere Sachen provisorisch auf und machte ab und zu eine Pause, um in einem Buch zu blättern oder sich ein Foto anzusehen. Sie schob das ruinierte Sofa mit der Hüfte auf seinen
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