Troubles (German Edition)
sondern murmelte weiter seinen gehässigen Kommentar auf die flirrende Szene dort unten. Über Huren und Zuhälter, läufige Hündinnen mit ihren geilen alten Böcken, über die Feiglinge und die Schweine, die sich für groß und mächtig hielten, aber ihr Tag würde kommen, das Rad drehte sich weiter …
Der Major packte ihn bei seinem zerschlissenen Hemdkragen und zerrte ihn von dem Geländer zurück, und er hörte den Stoff dabei reißen. Der Mann taumelte, und der Major musste ihn festhalten, an beiden schmutzigen Jackenaufschlägen. Plötzlich packte ihn die Wut. Er schüttelte Evans mit aller Macht; die ganze, immer größer gewordene Bitterkeit der vergangenen Stunde, der Wochen und Monate, in denen er die Hoffnung verloren hatte, die ganze Tragik und Verzweiflung der Jahre in Frankreich brach in diesem einen Moment des Hasses aus ihm heraus, gerichtet an den haltlos schwankenden Kopf dort vor ihm. Langsam senkten sich die bleichen Lider über die verschwommenen Augen des Hauslehrers, und eine Träne lief hinunter bis zum Mundwinkel.
»Ich hasse sie! Ich hasse sie alle!« Ein Schluchzer schüttelte ihn, und das Kinn sank ihm auf die Brust. Schlagartig war die Wut des Majors verflogen. Evans’ Knie gaben nach, und der Major musste einen Schritt nach vorne machen, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Er musste ihn stützen, damit der nicht zu Boden ging. Eine ganze Weile lang stand er so und hielt den Hauslehrer an seinen Jackenaufschlägen fest. Doch plötzlich erwachten Evans’ Kräfte wieder, er richtete sich auf, riss sich los und stürzte mit Kopf und Schultern voran zur Brüstung. Der Major sprang ihm nach, weil er dachte, er wolle sich hinunterstürzen. Doch Evans erbrach sich ausgiebig, eine dicke gelbe Brühe ergoss sich auf das glänzende Glas dort unten. Die Herren in Schwarz und Weiß auf der anderen Seite des Glases merkten nichts davon und drehten sich weiter mechanisch mit ihren Damen in sanft fließender Seide oder in Taft.
»Sie sind widerlich.« Die Hand, die der Major nach Evans’ Schulter ausstreckte, um ihm wieder ins Zimmer zu helfen, zitterte. Evans hatte die Augen geschlossen, und seine Züge entspannten sich; er sah ungewohnt friedlich aus. Es war nicht leicht, ihn durch die Balkontür und wieder in das dunkle Zimmer zu bekommen. »Darüber sprechen wir morgen noch.«
Auf dem Gang kam eben eine düstere Gestalt zu einer Tür heraus. »Murphy, kommen Sie her!«, brüllte der Major. »Was haben Sie hier oben zu suchen?« Doch dann fiel ihm wieder ein, dass sie dem ungepflegten alten Hausdiener aufgetragen hatten, sich nicht blicken zu lassen, bis die Gäste wieder gegangen waren, damit er mit seiner leichenhaften Erscheinung nicht die Damen verschreckte.
»Na, egal. Bringen Sie Evans wieder dahin, von wo er gekommen ist, und stecken Sie ihn ins Bett. Und machen Sie ihn auch sauber, wenn Sie schon dabei sind. Am besten schließen Sie ihn bis morgen früh in sein Zimmer ein.«
Der Major hatte das Gefühl, dass der saure Atem des Hauslehrers noch im Raum hing, als er zum Balkon zurückkehrte, um die Flasche von der Brüstung zu holen. Sie war leer. Er ließ sie, wo sie war. Die Tänzer hielten inne. Die Musik war verstummt; die Musiker wischten sich die schimmernden Schädel und berieten sich. Plötzlich kamen auf der leeren Tanzfläche die Zwillinge in Sicht und zogen einen strahlenden, doch widerstrebenden Padraig hinter sich her … und Padraig trug ein schwarzes Samtkleid, das ihm bis zu den Knöcheln reichte, und eine Perlenkette um den schlanken Hals. Die Zwillinge hatten beschlossen, etwas gegen den Mangel an jungen Damen zu tun. Mit einem Ausruf der Verzweiflung verfolgte der Major, wie sie ihn mit hinaus auf die mondhelle Terrasse zu den jungen Männern nahmen, dann machte er kehrt und ging mit raschen Schritten nach unten.
Auf dem Weg in den Ballsaal hielt er allerdings noch bei Bolton inne, der sich eben an der lodernden Fackel am Fuße der Treppe eine Zigarre anzündete. Er sei auf dem Heimweg, erklärte er dem Major, denn sein Dienst beginne schon früh am Morgen. Ob der Major wohl so freundlich sein könne, Edward in seinem Namen für einen ausgesprochen gelungenen Abend zu danken – ihr Gastgeber sei im Augenblick anscheinend unauffindbar.
Mittlerweile tanzten nur noch einige wenige Paare; darunter waren die Zwillinge mit den jungen Männern ihrer Wahl und Viola O’Neill, die mit ihrem Vater tanzte. Auch der alte Mr. Norton war noch mit einer Dame mittleren
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