Troubles (German Edition)
sie immer und immer wieder, über die junge und bezaubernde Mrs. Perry, schon schwer von der Schwindsucht gezeichnet, deren Mann, ein gefühlloser Unhold, bis ganz zum Schluss seine ehelichen Rechte eingefordert habe, sodass sie manchmal stundenlang das Krankenzimmer verlassen musste, und erst als es schon tagte, habe sie wieder hineingehen und das Opfer trösten konnte – das jedoch nie geklagt habe. Wenn sie das erzählte, warf sie dem Major finstere Blicke zu, so als ob er selbst der Schuldige sei.
Irgendwie bedrückte diese Geschichte den Major sehr. Er stellte sich die bezaubernde Mrs. Perry und ihren Ehemann ganz anders vor. Er malte sich aus, dass sie sich leidenschaftlich geliebt hatten. Welchen anderen Grund konnte denn ein Mann haben, eine schwindsüchtige Frau zu lieben? Die körperliche Liebe blieb die eine Brücke zwischen ihnen beiden, eine Brücke, die zusehends verfiel. Er malte sie sich aus, die langen, verzweifelten Nächte. Er fragte sich, ob der Mann vielleicht gehofft hatte, dass er sich selbst mit Tuberkulose ansteckte. Eines Nachts erschien Mrs. Perry ihm in einem entsetzlichen Albtraum, und am nächsten Morgen war er so verstört, dass er zu der Nachtschwester ging und sie mit einem Monatslohn entließ. Er dachte: »Also wirklich, ich bin doch noch ein junger Mann … morbide kann ich noch sein, wenn ich einmal alt bin.«
Etwa um diese Zeit las er von der Belagerung eines Postens der königlich-irischen Polizei in Ballytrain – ein halbes Dutzend Konstabler, von einer ganzen Horde Shinner überwältigt – über hundert waren es gewesen, und sie hatten sich aufgeführt wie die Derwische von Khartoum. Edward hatte behauptet, es seien Einzelgänger, Kriminelle, die nur ihren persönlichen Vorteil suchten. Nie zuvor, dachte der Major mit einem Lächeln, hatte man so viele kriminelle Einzelgänger zusammen an einem Ort gesehen!
Der Major hatte Sarah eingeladen, im Haus seiner Tante zu wohnen, wenn sie auf ihrer Reise nach Frankreich in London Station machte. Würden die Leute das nicht als unschicklich ansehen? wollte sie wissen. Was würde seine Tante denken? Der Major antwortete, seine Tante werde gewiss nichts dagegen haben, dass Sarah bei ihr wohne. Ja, sie werde die Anstandsdame sein (und er fürchte nur, dass die alte Dame, die schon so lange am Leben blieb, gerade jetzt sterben könne, wo ihre Dienste gebraucht wurden). Und schon kurz darauf traf Sarah ein.
Der Major war in einen Sumpf aus Trübsinn versunken, sein Verstand so gefühllos wie der gefrorene Schnee auf den Straßen, und hatte ihrer Ankunft gleichgültig entgegengesehen, ja sogar mit einer gewissen Furcht. Doch offenbar hatte Sarah die boshafte Seite ihres Wesens in Kilnalough gelassen. Sie war so liebenswürdig und so unbekümmert, so aufgeregt, dass sie in London war, so sichtlich beeindruckt davon, wie schneidig und selbstsicher der Major in dieser neuen Umgebung wirkte, wenn sie sich bei ihm unterhakte (die Selbstverständlichkeit, mit der sie nun gehen konnte, verblüffte ihn), dass er binnen kürzester Zeit entwaffnet war. In Lokalen fürchtete sie, sie könne »auffallen«. Der Major müsse darauf achten, dass sie nicht das falsche Messer oder die falsche Gabel nehme, sonst werde sie vor Scham vergehen. Und wie könnten nur all die Gäste (der Major eingeschlossen) so entspannt sein, wenn die Diener dermaßen steif waren? Das konnte sie nicht verstehen. Und was für schöne Kleider die Frauen anhatten! Ob der Major sich nicht schäme, wenn man ihn mit einer Vogelscheuche wie ihr sehe? Aber ganz im Gegenteil genoß der Major es, dass man ihn mit einem so hübschen Mädchen sah.
Die großartigen Läden, die eleganten Straßen … Amüsiert und gerührt von ihrer Begeisterung sah der Major London nun selbst mit neuen, weniger abgeklärten Augen. Sie hatte vollkommen recht, London konnte ein aufregender Ort sein, wenn man sich nur gestattete, es zu sehen. Am Abend nach dem Essen saßen sie vor dem tosenden Kaminfeuer und redeten. Eine Weile sprachen sie über Kilnalough. Der Major hatte gehofft, mehr über das Majestic zu erfahren, aber Sarah hatte ihren Briefen nichts hinzuzufügen. Ripon und Máire waren inzwischen verheiratet und lebten in Rathmines, aber mehr als das wusste sie nicht. Edward und Ripon hätten wohl ganz miteinander gebrochen. Es habe schweren Streit gegeben, aber die Einzelheiten kenne sie nicht. Edward habe sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, sagte sie und blickte in die Glut. Aber dann
Weitere Kostenlose Bücher