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Trübe Wasser sind kalt

Trübe Wasser sind kalt

Titel: Trübe Wasser sind kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Road.« Sie zögerte unsicher. »Ich dachte, er hat Ihnen Bescheid gesagt.«
    »Ja.« Ich lächelte. »Und es freut mich sehr für ihn.« Ich war mir nicht klar, was ich da sagte, aber sie schien sich ebenfalls zu freuen.
    »Sagen Sie ihm nicht, daß ich komme«, fuhr ich fort. »Ich möchte ihn überraschen.«
    »Oh, das ist wunderbar. Er wird absolut begeistert sein.« Ich schnappte mir wieder ein Taxi, und dachte darüber nach, wie ich ihre Worte eben zu verstehen hatte. Egal, was Mant für Gründe für sein Tun hatte, ich konnte nicht umhin, leicht wütend zu sein.
    »Müssen Sie zum Gericht, Ma'am?« fragte der Fahrer. »Das ist da drüben.« Er wies durch das offene Fenster auf ein hübsches Backsteingebäude.
    »Nein, ich muß ins Leichenschauhaus«, sagte ich. »In Ordnung. Das ist dort drüben. Besser, hineinzugehen als hineingetragen zu werden«, sagte er mit einem heiseren Lachen. Ich zückte meinen Geldbeutel, als er vor einem Gebäude anhielt, das nach Londoner Maßstäben klein war. Es war aus rotem Backstein mit einem Granitsims und einer seltsamen Brüstung am Dach und umgeben von einem verschnörkelten, schmiedeeisernen Zaun, der rostfarben gestrichen war. Dem Schild am Eingang zufolge war das Leichenschauhaus mehr als hundert Jahre alt, und ich dachte, wie grauenhaft es damals gewesen sein mußte, Gerichtsmedizin zu praktizieren. Die einzigen Zeugen waren die Lebenden, und ich fragte mich, ob die Leute in früheren Zeiten weniger gelogen hatten.
    Der Empfangsbereich des Leichenschauhauses war klein, aber nett eingerichtet, wie die Lobby einer ganz normalen Firma. Hinter einer offenen Tür erstreckte sich ein Korridor, und da ich niemanden sah, ging ich in diese Richtung, gerade als eine Fra u mit großformatigen Büchern auf dem Arm aus einem Zimmer trat.
    »Entschuldigung«, sagte sie verblüfft, »aber hierhin dürfen Sie nicht.«
    »Ich suche Dr. Mant«, sagte ich.
    Sie trug ein locker sitzendes langes Kleid und einen Pullover und sprach mit schottischem Akzent. »Und wen darf ich melden?« fragte sie höflich.
    Ich zeigte ihr meinen Dienstausweis. »Oh, sehr wohl. Ich verstehe. Dann erwartet er Sie.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich.
    »Ach so.« Sie verlagerte die Bücher auf den anderen Arm und war sehr verwirrt.
    »Er hat früher in den Staaten bei mir gearbeitet«, sagte ich. »Ich möchte ihn gern überraschen, deshalb würde ich ihn lieber gleich persönlich aufsuchen, wenn Sie mir bloß sagen könnten, wo ich ihn finde.«
    »Du liebe Zeit, er müßte jetzt im Verwesungsraum sein. Wenn Sie durch diese Tür hier gehen«, -sie deutete mit dem Kinn in die Richtung -»dann sehen Sie links vom Hauptgang Umkleidekabinen. Da finden Sie alles, was Sie brauchen. Dann wenden Sie sich wieder nach links durch noch ein paar Türen, und dann ist es genau dahinter. Alles klar?« Sie lächelte. »Vielen Dank«, sagte ich.
    Im Umkleideraum zog ich Stiefel, Handschuhe und Gesichtsmaske über und band mir locker einen Kittel um, damit der Geruch nicht an meine Kleidung kam. Ich ging durch einen gekachelten Raum, wo sechs Stahltische und eine Wand voller weißer Kühlkammern blitzten. Die Ärzte trugen Blau, und Westminster hielt sie an diesem Morgen beschäftigt. Sie schauten kaum nach mir, als ich vorbeiging. Am Ende der Halle fand ich meinen Stellvertreter in hohen Gummistiefeln. Er stand auf einem Schemel und arbeitete an einer übel verwesten Leiche, die, wie ich vermutete, eine Weile im Wasser gelegen hatte. Der Gestank war entsetzlich, und ich schloß hinter mir die Tür. »Dr. Mant«, sagte ich.
    Er drehte sich um und schien einen Augenblick lang nicht zu wissen, wer ich war und wo er war. Dann sah er einfach geschockt aus.
    »Dr. Scarpetta? Mein Gott, ja, verdammt noch mal.« Er stieg schwerfällig vom Schemel, denn er war nicht gerade klein. »Da bin ich aber überrascht. Ich bin direkt sprachlos!« Er stotterte, und in seinen Augen flackerte Angst auf. »Ich bin auch überrascht«, sagte ich finster. »Das kann ich mir gut vorstellen. Kommen Sie. Wir sollten hier bei diesem ziemlich gräßlichen Treibgut nicht reden. Wurde gestern nachmittag in der Themse gefunden. Sieht so aus, als sei sie erstochen worden, aber wir haben ihre Identität noch nicht. Wir sollten in den Aufenthaltsraum gehen«, sprach er nervös weiter. Philip Mant war ein reizender alter Herr, dem man unmöglich gram sein konnte. Er hatte dichtes, weißes Haar und buschige Brauen über wachsamen, blassen Augen. Er führte mich

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