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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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stellen und sich nicht zwischen Freund, Liebhaber oder bloßer Bekanntschaft entscheiden.
    »Wie geht’s Noah?« fragte er schließlich. Neutralität auch in der Wahl des Gesprächsthemas.
    »Er ist wütend zu Bett gegangen. Irgendwie legt er es darauf an, ein Opfer zu sein; er will das Gefühl haben, daß die ganze Welt gegen ihn ist. Ich kann nichts tun, um ihn umzustimmen.« Sie seufzte und stützte den Kopf auf die Hand.
    »Seit neun Monaten bin ich für ihn der Bösewicht, weil ich ihn gezwungen habe hierherzuziehen. Heute nachmittag dann, als ich ihm sagte, daß ich mir überlege, nach Baltimore zurückzugehen, da ist er explodiert. Er sagte, ich würde keine Rücksicht auf das nehmen, was er braucht, was er will. Was ich auch tue, ich kann nicht gewinnen. Ich kann es ihm nicht recht machen.«
    »Dann kannst du es nur dir selbst recht machen.«
    »Das erscheint mir egoistisch.«
    »Wirklich?«
    »Ich habe das Gefühl, daß ich eine bessere Mutter sein könnte.«
    »Ich sehe doch, wieviel Mühe du dir gibst, Claire. Mehr kann man von keiner Mutter verlangen.« Er schwieg einen Moment und seufzte dann. »Und jetzt mache ich dein Leben wohl noch komplizierter, als es schon ist, und das zu einem Zeitpunkt, wo du es am wenigsten gebrauchen kannst. Aber, Claire, für mich gibt es keinen anderen Zeitpunkt. Ich mußte es dir sagen, solange du dich noch nicht entschieden hattest. Solange du noch in Tranquility warst.« Leise fügte er hinzu: »Bevor es zu spät war, irgend etwas zu sagen.«
    Endlich sah sie ihn an. Er saß mit gesenktem Blick da, den Kopf müde in die Hand gestützt.
    »Ich mache es dir ja nicht zum Vorwurf, daß du weggehen willst«, fuhr er fort. »Diese Stadt kann sich nur sehr langsam für Fremde erwärmen und ihnen ihr Vertrauen schenken. Ein paar gibt es, die sind ganz einfach bösartig. Aber die meisten sind Menschen, wie man sie überall trifft. Einige von ihnen sind unglaublich großzügig. Bessere Leute findest du nirgendwo ...« Er brach ab, als wüßte er nichts mehr zu sagen.
    Einen Augenblick saßen sie nur da und schwiegen.
    »Sprichst du wieder für die ganze Stadt, Lincoln? Oder für dich selbst?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich finde nicht die richtigen Worte. Ich bin gekommen, um etwas zu sagen, und rede doch nur um den heißen Brei herum. Ich denke oft an dich, Claire. Genauer gesagt, ich denke die ganze Zeit an dich. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, weil es eine neue Erfahrung für mich ist. So über den Wolken zu schweben.«
    Sie lächelte. So lange hatte sie in ihm den stoischen Yankee gesehen, nüchtern und geradeheraus. Einen Mann, dessen Stiefel zu fest auf dem Boden der Tatsachen standen, als daß er je über den Wolken schweben könnte.
    Lincoln erhob sich und blickte in den Kamin. Er wirkte unsicher. »Das ist eigentlich alles, was ich dir sagen wollte. Ich weiß, es gibt Komplikationen. Doreen in erster Linie. Und ich weiß, daß ich keinerlei Erfahrung als Vater habe. Aber ich habe alle Geduld der Welt, wenn es um Dinge geht, die mir wirklich etwas bedeuten.« Er räusperte sich. »Ich finde schon nach draußen.«
    Er war schon zur Garderobe gegangen und griff eben nach seiner Jacke, als sie ihn einholte. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, und er drehte sich um und sah sie an. Seine Jacke rutschte vom Bügel und fiel unbeachtet zu Boden.
    »Komm zurück und setz dich zu mir.« Diese geflüsterte Bitte und das Lächeln auf ihren Lippen – mehr bedurfte es nicht, ihn umzustimmen. Er berührte ihr Gesicht, streichelte ihre Wange. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlte, eine männliche Hand auf ihrer Haut zu spüren. Die Berührung weckte ein Verlangen in ihr, tief und unerwartet und so mächtig, daß sie einen Seufzer ausstieß und die Augen schloß. Sie seufzte wieder, als er sie küßte und sie einander um den Hals fielen.
    Sie küßten sich weiter, während sie irgendwie den Weg zurück ins Wohnzimmer fanden, und küßten sich immer noch, als sie auf die Couch niedersanken. Im Kamin fiel ein Scheit um, und ein erstaunlich heller Schauer von Funken und Flammen stob empor. Trockenes Holz gibt das heißeste Feuer.
    Die Hitze ihres eigenen Feuers verzehrte sie jetzt und verbrannte jeglichen Widerstand zu Asche. Sie lagen auf der Couch, ihre Körper aneinandergepreßt, ihre Hände suchend und forschend. Sie lockerte sein Hemd und ließ ihre Hand über seinen Rücken gleiten. Seine Haut fühlte sich verblüffend kalt an, als ob er alle Wärme, die

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