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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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nachgedacht, was ich gesagt habe?«
    fragte er. »Ob du bleiben willst?«
    »Bittest du mich immer noch darum?«
    »Ja.«
    Er sagte es ohne Zögern. Er gab sie nicht frei, und sie empfand sowohl Freude als auch Beklemmung.
    »Ich weiß es nicht, Lincoln. Ich muß ständig an all die Gründe denken, weshalb ich die Stadt verlassen sollte.«
    »Was ist mit all den Gründen fürs Hierbleiben?«
    »Welche Gründe gibt es denn noch, außer dir?«
    »Wir können darüber reden. Ich kann gleich vorbeikommen.«
    Sie wollte, daß er kam, doch sie hatte Angst vor dem, was dann geschehen würde. Angst, eine vorschnelle Entscheidung zu treffen – davor, daß allein seine Gegenwart sich als das überzeugendste Argument für ihr Hierbleiben erweisen würde. So vieles trieb sie von Tranquility fort. Sie mußte nur aus dem Fenster blicken, in die undurchdringliche Dunkelheit einer Novembernacht, und sich sagen, daß diese Nacht kalt genug war, um jegliches Leben ...
    »Ich kann in zehn Minuten dort sein.«
    Sie schluckte. Nickte dem leeren Zimmer zu. »In Ordnung.«
    Kaum hatte sie aufgelegt, als sie von einem Gefühl der Panik erfaßt wurde. War sie überhaupt präsentabel? War ihr Haar in Ordnung, war die Wohnung aufgeräumt? Sie erkannte diese wirren Gedanken als das, was sie waren – Ausdruck des weiblichen Verlangens, den Geliebten zu beeindrucken –, und sie war überrascht, daß ihr so etwas in dieser Phase ihres Lebens noch widerfahren konnte. Alter schützt vor Torheit nicht, dachte sie mit einem süßsauren Lächeln.
    Sie vermied es bewußt, auch nur einen Blick in den Spiegel zu werfen, und ging hinunter ins Wohnzimmer. Dort zwang sie sich dazu, die nächsten Minuten darauf zu verwenden, ein Feuer im Kamin in Gang zu bringen. Wenn Lincoln schon darauf bestand, ihr zu so später Stunde einen Besuch abzustatten, dann würde er sich mit dem zufriedengeben müssen, was er vorfand. Eine Frau mit Ruß an den Händen und Rauchgeruch im Haar. Die wahre Claire Elliot, so wie sie war, gestreßt und nicht besonders glamourös. Soll er mich ruhig so sehen, dachte sie trotzig, und dann wird sich herausstellen, ob er mich immer noch will.
    Sie legte Holzscheite in den Kamin, zündete ein Streichholz an und hielt die Flamme an ein Stück zusammengeknülltes Zeitungspapier. Das Feuer war ordentlich gebaut, und sie mußte sich eigentlich nicht weiter darum kümmern; trotzdem blieb sie am Kamin stehen und sah mit kindlicher Befriedigung zu, wie zuerst das Papier und dann die Holzscheite Feuer fingen. Das Holz war gründlich abgelagert; es würde gut brennen und reichlich Wärme abgeben. Sie war wie dieses Holz. Ausgedörrt und zu lange unberührt. Sie wußte kaum noch, wie es war, in Flammen zu stehen.
    Sie hörte sein Klingeln. Augenblicklich begannen ihre Nerven zu flattern. Sie klatschte ihre rußigen Hände zusammen, dann rieb sie sie an ihren Hüften ab, wodurch es ihr lediglich gelang, den Ruß auf ihre Hose zu übertragen.
    Soll er doch die wahre Claire sehen. Und dann entscheiden, ob sie das ist, was er will.
    Sie ging hinaus in die Diele, blieb noch einen Moment stehen, um sich zu sammeln, und öffnete dann die Tür. »Komm rein«, sagte sie.
    »Hallo, Claire«, antwortete er, ebenso verlegen wie sie. Sie sahen einander nur für eine Sekunde in die Augen und brachen dann gleichzeitig den Blickkontakt ab. Er trat ein, und sie sah, daß seine Jacke mit feinem Schnee bedeckt war; in der Dunkelheit draußen wirbelte es wie feiner weißer Staub, wie Nebel.
    Sie schloß die Tür. »Ich habe drüben ein Feuer brennen. Darf ich dir die Jacke abnehmen?«
    Er zog sie aus, und als sie die Jacke auf einen Kleiderbügel hängte, spürte sie die Wärme seines Körpers im Futter. So oft waren sie sich schon begegnet, hatten miteinander gesprochen, aber noch nie zuvor hatte sie seine Gegenwart so wie heute mit allen Sinnen empfunden: seine Körperwärme, die sich auf die Jacke übertragen hatte, den Geruch von Rauch und von schmelzendem Schnee, den er ausströmte, und seinen Blick, der auf ihr ruhte und den sie spürte, obwohl sie ihm den Rücken zukehrte.
    Sie ging voraus ins Wohnzimmer. Das Feuer war inzwischen voll entflammt und warf einen hellen Lichtkegel in die Düsternis. Claire setzte sich auf die Couch und schaltete die Lampe, die daneben stand, aus. Das Feuer spendete genug Licht, und der Halbschatten gewährte ihr Zuflucht. Lincoln setzte sich neben sie, in gebührendem Abstand – als wolle er seine Neutralität unter Beweis

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