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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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und immer mußte ich denken, wie unfair das von ihr war. Wie egoistisch sie war. Das Leben muß nicht unfair sein. Wir können uns für das Glück entscheiden.« Sie brach ab; sie mußte all ihren Mut zusammennehmen, um das zu sagen, was sie zu sagen hatte. Er wußte, was es war; er hatte es schon immer gewußt, und er hatte immer zu verhindern versucht, daß sie es aussprach. Es war ihm klar, daß das Nachspiel für sie erniedrigend und für ihn selbst schmerzhaft sein würde. »Es ist noch nicht zu spät für uns«, sagte sie.
    Er stieß einen Seufzer aus. »Fern –«
    »Wir könnten wieder da anknüpfen, wo wir schon einmal waren. Vor Doreen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das können wir nicht.«
    »Warum nicht?«
    Er hörte das Flehen in ihrer Stimme, die Verzweiflung, und er mußte sich dazu zwingen, ihren Blick zu erwidern. »Es gibt da noch jemand anderen.«
    Sie trat einen Schritt zurück, in den Schatten, doch vorher sah er noch die Tranen in ihren Augen. »Ich glaube, das habe ich schon gewußt.«
    »Es tut mir leid.«
    »Nein. Nein, es muß dir nicht leid tun.« Sie schüttelte den Kopf und lachte. »Das ist halt einfach mein Leben.«
    Er sah, wie sie sich dem Eingang zuwandte. Sie blieb kurz stehen, um ihre Schultern zu straffen, ihre Würde wiederzuerlangen. Warum hätte nicht Fern diejenige sein können? dachte er. Hätte er sich in sie verliebt, hätten sie geheiratet, dann wäre daraus vielleicht eine einigermaßen glückliche Ehe geworden. Sie war attraktiv genug, intelligent genug. Aber irgend etwas hatte zwischen ihnen immer gefehlt. Das gewisse Etwas.
    Traurig sah er ihr nach, wie sie zur Eingangstür ging und sie öffnete. Im gleichen Augenblick drang das Geräusch aufgeregter Stimmen und schneller Schritte aus der offenen Tür.
    »Was ist denn hier los?« fragte Fern. Sie lief hinein, gefolgt von Lincoln.
    Drinnen fanden sie alles in heller Aufregung. Die Punschschüssel war umgekippt, und eine erdbeerfarbene Lache breitete sich auf dem Fußboden aus. Die Musik hämmerte unentwegt weiter, aber die Hälfte der Schüler hatte sich an die Seitenwand zurückgezogen, wo sie sich jetzt ängstlich zusammendrängten. Andere standen im Kreis in der Nähe der Musikanlage. Lincoln konnte nicht erkennen, was sich in der Mitte des Kreises abspielte, doch er hörte, wie ein Lautsprecher zu Boden krachte, und er hörte, wie Pete Sparks und die Aufsichtsschüler durcheinanderriefen: »Auseinander! Zurück, zurück!«
    Als Lincoln sich durch die Menschentraube schob, fiel ein weiterer Verstärker um und landete mitten in der Punschpfütze. Es gab ein ohrenbetäubendes Quietschen; alle hielten sich die Ohren zu und suchten sich vor den sprühenden Funken in Sicherheit zu bringen.
    Im nächsten Moment verstummte die Musik. Gleichzeitig ging das Licht aus.
    Die Dunkelheit währte nur einige Sekunden, aber in dieser kurzen Zeit, bevor die Notbeleuchtung sich einschaltete, erfaßte Panik die Menge. Lincoln wurde von
    kreischenden Teenagern angerempelt, die zum Ausgang stürmten. Er konnte nicht sehen, wer auf ihn zukam, hörte nur das Trampeln der Füße. Er merkte, wie jemand neben ihm zu Boden ging; blind tastete er nach unten und zog ein Mädchen an ihrem Kleid hoch.
    Endlich flackerte die Notbeleuchtung auf, ein einziger schwacher Scheinwerfer in der hinteren Ecke der Halle. Das Licht reichte gerade aus, um ein Gewirr flüchtender Schatten zu erkennen und hier und da einen Schüler, der gestürzt war und sich wieder aufrappelte.
    Dann fiel Lincolns Blick auf eine Szene, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Pete Sparks war auf die Knie gefallen und schien zu benommen zu sein, um den übergewichtigen Jungen zu bemerken, der neben ihm stand. Der Junge streckte die Hand aus und zog die Pistole aus Petes Halfter.
    Lincoln war zu weit weg, um den Jungen mit einem Sprung zu entwaffnen. Es gelang ihm, zwei Schritte zu machen, dann erstarrte er, als der Junge sich zu ihm umdrehte und ihn mit Augen, die vor Rage sprühten, anstarrte. Lincoln erkannte ihn. Es war Barry Knowlton.
    »Leg sie weg, mein Sohn«, sagte Lincoln ruhig. »Leg ganz einfach die Pistole auf den Boden.«
    »Nein. Nein, ich habe es satt, immer herumgeschubst zu werden!«
    »Wir können darüber reden. Aber zuerst mußt du die Waffe weglegen.«
    »Als ob sich irgendwer die Mühe machen würde, mit mir zu reden!« Barry blickte sich wild in der Halle um. »Ihr Mädels, euch ist das doch völlig schnuppe! Ihr lacht mich bloß aus! Das ist das

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