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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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zurück. Sie begann zu laufen, rief immer wieder seinen Namen.
    Jetzt fiel ihr Blick auf zwei Gestalten zu ihrer Linken. Lincoln und Floyd hatten ihre Rufe gehört und sich auch an die Verfolgung gemacht. Sie hatten ihn fast eingeholt, als Noah sich umdrehte und sie sah.
    Er begann auf den See zuzulaufen.
    Claire rief: »Tut ihm nichts!«
    Floyd bekam ihn zu fassen, als sie beide gerade den Rand der Eisfläche erreicht hatten, und riß ihn zurück. Sie fielen beide in den tiefen Schnee. Noah rappelte sich als erster wieder auf und stürzte sich mit fliegenden Fäusten auf Floyd; er hatte jetzt völlig die Kontrolle über sich verloren. Er heulte auf und schlug wild um sich, als Lincoln ihn von hinten packte und zu Boden rang.
    Floyd kam wieder auf die Beine und zog seine Pistole.
    »Nein!« schrie Claire, und in Panik kämpfte sie sich durch den Tiefschnee voran. Sie erreichte ihren Sohn im selben Moment, als Lincoln ihm hinter seinem Rücken die Handschellen anlegte. »Leg dich nicht mit ihnen an, Noah!« flehte sie. »Hör auf zu kämpfen!«
    Noah drehte sich um und blickte sie an, sein Gesicht vor Raserei so verzerrt, daß sie ihn kaum erkannte. Wer ist dieser Junge? dachte sie entsetzt. Ich kenne ihn nicht.
    » Laßt – mich – los! « kreischte er. Ein leuchtendroter Blutstropfen rann aus seinem Nasenloch und fiel in den Schnee.
    Betroffen starrte sie auf den roten Fleck, dann sah sie ihren Sohn an, der wie ein erschöpftes Tier keuchte. Sein Atem dampfte in der kalten Luft. Ein dünner roter Strich glänzte auf seiner Oberlippe.
    Neue Stimmen waren aus der Ferne zu hören. Claire drehte sich um und sah Männer, die auf sie zuliefen. Als sie näher kamen, erkannte sie die Uniformen.
    Staatspolizei.

22
    Der Lärm raubte ihr allmählich den Verstand. Amelia stützte die Ellbogen auf ihren Schreibtisch und hielt sich den Kopf; sie wünschte nur, sie könnte sich irgendwie vor all den Geräuschen schützen, die aus verschiedenen Teilen des Hauses auf sie einstürmten. Von nebenan kam das Stampfen von J. D.s gräßlicher Musik, die wie der Herzschlag eines Dämons gegen ihre Wand trommelte. Und von unten aus dem Wohnzimmer kam das Gebrüll des Fernsehers, der auf volle Lautstärke gedreht war. Mit der Musik konnte sie noch fertigwerden; das war einfach nur Krach, eine Störung, die an den äußersten Rändern ihrer Konzentration nagte. Aber der Lärm des Fernsehers schlich sich direkt in ihr Denken ein, denn es waren die Stimmen von Menschen, die sich unterhielten, und ihre Worte lenkten sie von dem Buch ab, das sie zu lesen versuchte.
    Frustriert schlug sie es zu und ging nach unten. Sie fand Jack in seiner üblichen Abendstellung: hingelümmelt auf dem karierten Fernsehsessel, mit einem Bier in der Hand. Seine Königliche Hoheit, der Thronfurzer. Welche furchtbare Verzweiflung hatte ihre Mutter dazu getrieben, ihn zu heiraten? Amelia konnte sich nicht vorstellen, jemals eine solche Entscheidung zu treffen; der Gedanke an eine Zukunft mit einem solchen Mann unter ihrem Dach, der an ihrem Tisch rülpste und seine schmutzigen Socken im Wohnzimmer fallen ließ wie Pferdeäpfel, war ihr einfach unerträglich.
    Und nachts mit ihm im Bett zu liegen, seine Hände auf ihrer Haut zu fühlen ...
    Ohne daß sie es wollte, gab sie ein angeekeltes Geräusch von sich, das Jacks Aufmerksamkeit von den Abendnachrichten ablenkte. Er sah sie an, und sein leerer Blick wich einem interessierten, vielleicht sogar berechnenden Ausdruck. Sie kannte den Grund dafür und glaubte fast, die Arme vor der Brust verschränken zu müssen.
    »Kannst du es ein bißchen leiser stellen?« sagte sie. »Ich muß lernen.«
    »Mach halt deine Tür zu.«
    »Ich habe meine Tür zugemacht. Der Fernseher ist zu laut.«
    »Das hier ist mein Haus, weißt du. Du kannst froh sein, daß ich dich hier wohnen lasse. Ich muß den ganzen Tag schwer arbeiten. Ich habe es verdient, mich in meinem eigenen Haus ein bißchen zu entspannen.«
    »Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich kann meine Hausaufgaben nicht machen.«
    Jack stieß einen Laut aus, der wie eine Mischung zwischen Rülpsen und Lachen klang. »Ein Mädchen wie du muß sich nicht das Gehirn zermartern. Du brauchst doch überhaupt kein Gehirn.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Such dir einen reichen Mann, wackle mit deinem hübschen Blondköpfchen, und schon hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt.«
    Sie verkniff sich eine wütende Retourkutsche. Jack wollte sie ködern. Sie sah das breite

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