Trügerische Ruhe
Pelzstolen und Männer im Schlepptau führten. »Deshalb denke ich, es ist Zeit, daß Sie mit dem Rauchen aufhören.«
»Was haben Sie denn gegen Penizillin?«
Claire ignorierte die Frage und wandte sich statt dessen dem Holzofen in der Mitte der überheizten Küche zu. »Der tut Ihrem Hals auch nicht gerade gut. Er macht die Luft trocken und füllt sie mit Rauch und Reizstoffen. Sie haben doch einen Ölofen, oder?«
»Holz is billiger.«
»Sie würden sich besser fühlen.«
»Ich krieg das Holz umsonst von meinem Neffen.«
»Also gut«, seufzte Claire. »Wie wär’s, wenn Sie wenigstens die Zigaretten weglassen?«
»Wie wär’s mit Penizillin?« Sie sahen einander in die Augen – der Beginn einer wunderbaren Feindschaft, und nur wegen ein paar Drei-Dollar-Pillen.
Schließlich warf Claire das Handtuch. Sie hatte so spät am Nachmittag nicht mehr die Kraft, einen Streit durchzustehen, jedenfalls nicht, wenn der Gegner so störrisch war wie Mairead Temple. Nur dieses eine Mal, sagte sie sich, als sie ihre Tasche nach den entsprechenden Antibiotika durchwühlte.
Mairead ging zu dem Holzofen und legte ein Scheit nach. Rauch quoll heraus und vermischte sich mit dem Dunstschleier, der bereits den Raum erfüllte.
Claire bekam selbst allmählich Halsschmerzen.
Mairead nahm eine Kohlenzange und stocherte in dem Holzfeuer herum. »Ich hab da noch dies und das über diese Knochen gehört.«
Claire zählte noch die Tabletten. Erst als sie aufblickte, bemerkte sie, daß Mairead sie mit ungewöhnlich wachen Augen beobachtete. Wie ein wildes Tier.
Mairead drehte sich um und schlug die gußeiserne Tür des Ofens zu. »Alte Knochen, sagt man.«
»Ja, das stimmt.«
»Wie alt?« Wieder waren die wäßrigen Augen auf sie fixiert.
»Hundert Jahre, vielleicht mehr.«
»Wissen die das sicher?«
»Ich glaube, sie sind sich ganz sicher. Wieso?«
Der beunruhigende Blick glitt wieder von ihr ab. »Man weiß nie, was sich hier in der Gegend so alles abspielt. Ist ja kein Wunder, daß sie die Knochen auf ihrem Grundstück gefunden haben. Sie wissen doch, was sie ist, oder? Sie ist auch nicht die einzige hier. Letztes Halloween haben sie ein Riesenfeuer gemacht, drüben in Warren Emersons Maisfeld. Dieser Emerson, der ist auch einer von denen.«
»Was ist er?«
»Na, wie nennt man die noch, wenn’s Männer sind? Hexenmeister.«
Claire prustete los. Das war ein Fehler.
»Fragen Sie nur mal in der Stadt rum«, beharrte Mairead, die allmählich wütend wurde. »Alle werden sie Ihnen erzählen, daß es in der Nacht in Emersons Feld ein Feuer gegeben hat. Und gleich drauf haben die Kinder in der Stadt all diesen Unfug gemacht.«
»Das passiert überall. Kinder stellen an Halloween immer was an.«
»Es ist ihre heilige Nacht. Ihr schwarzes Weihnachten.«
Claire sah der alten Frau in die Augen und kam zu dem Schluß, daß sie Mairead Temple nicht mochte. »Jeder hat ein Recht auf seine Überzeugungen. Solange niemand zu Schaden kommt.«
»Na, das ist ja eben die Frage, oder? Wir wissen’s halt nicht. Sehen Sie sich doch nur an, was seitdem hier so passiert ist.«
Abrupt schloß Claire ihre Arzttasche und stand auf. »Rachel Sorkin kümmert sich um ihre eigenen Angelegenheiten, Mairead. Ich meine, alle anderen in dieser Stadt sollten es ihr gleichtun.«
Schon wieder die Knochen, dachte Claire, als sie zu ihrem letzten Hausbesuch des Tages fuhr. Alle wollen etwas über die Knochen wissen. Wem sie gehörten, wann sie begraben wurden. Und heute dann eine neue Frage, eine, mit der sie nicht gerechnet hatte: Warum sie in Rachel Sorkins Hof gefunden worden waren.
Es ist ihre heilige Nacht, ihr schwarzes Weihnachten.
In Maireads Küche hatte Claire gelacht. Jetzt, als sie in der zunehmenden Düsternis dahinfuhr, schien ihr das Gespräch überhaupt nicht mehr komisch. Rachel Sorkin war die Außenseiterin, die schwarzhaarige Frau von auswärts, die allein am See wohnte. Über die Jahrhunderte hinweg war es so gewesen: Eine alleinstehende junge Frau hatte schon immer Verdächtigungen und Gerüchte angezogen. In einer kleinen Stadt stellt sie eine Anomalie dar, die nach Erklärungen verlangt. Sie ist die Sirene, die unwiderstehliche Versuchung für die ansonsten tugendhaften Männer der Gemeinde. Oder sie ist der Drache, den niemand heiraten will, oder aber die Kranke, Verdrehte, die mit unnatürlichen Gelüsten. Und wenn eine attraktiv ist, so wie Rachel, oder exotisch, oder wenn sie ausgefallene Vorlieben und Eigenheiten hat,
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