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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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zwei.
    Die Narzissen blühen und verblühen, dann blühen sie wieder – in einem vernachlässigten Garten. Die Heizkostenrechnung ist eine böse Überraschung. Die Sturmfenster bleiben verschlossen, auch wenn schon längst Tauwetter herrscht. Der Fremde beginnt, mit blassem Gesicht in der Stadt umherzuschleichen und sehnsüchtig von Florida zu erzählen, sich an Strände zu erinnern, an denen er sich in der Sonne gerekelt hat; und er träumt von Städten, in denen es weder eine Matschsaison noch Schneepflüge gibt. Und das so liebevoll restaurierte Haus bekommt bald noch eine weitere Dekoration hinzu: ein »Zu verkaufen«-Schild.
    Die Leute von auswärts haben keine Beständigkeit. Und Claire war sich selbst nicht sicher, ob sie hierbleiben würde.
    »Und weshalb sind Sie hierhergezogen?« fragte er.
    Sie lehnte sich zurück und sah den Flammen zu, die das Birkenscheit verschlangen. »Ich bin nicht wegen mir selbst hergekommen. Es war wegen Noah.« Sie blickte nach oben, wo ihr Sohn sein Schlafzimmer hatte. Im Obergeschoß war alles still – wie auch Noah den ganzen Abend still gewesen war. Beim Abendessen hatte er kaum ein Wort mit ihrem Gast gesprochen. Und danach war er gleich in sein Zimmer gegangen und hatte die Tür zugemacht.
    »Er ist ein hübscher Junge«, sagte Max.
    »Sein Vater war sehr attraktiv.«
    »Seine Mutter vielleicht nicht?« Max’ Brandyglas war fast leer, und im Schein des Feuers sah sein Gesicht gerötet aus.
    »Sie sind es nämlich wirklich.«
    Sie lächelte. »Ich glaube, Sie sind betrunken.«
    »Nein, ich fühle mich nur gerade sehr ... behaglich.« Er stellte das Glas auf den Tisch. »Es war also Noah, der umziehen wollte?«
    »O nein. Er hat sich mit Händen und Füßen gewehrt. Er wollte seine alte Schule und seine Freunde nicht aufgeben. Aber genau deshalb mußten wir fort.«
    »Schlechte Gesellschaft?« Sie nickte. »Er ist in Schwierigkeiten geraten. Er und seine ganze Clique. Als es passierte, war ich wie vor den Kopf gestoßen. Ich hatte ihn nicht unter Kontrolle, ich bekam ihn nicht mehr in den Griff. Manchmal ...« Sie seufzte. »Manchmal denke ich, ich habe ihn ganz und gar verloren.«
    Das Birkenscheit rutschte ab und fiel zischend in die Glut. Funken flogen auf und senkten sich langsam in die Asche.
    »Ich mußte drastische Maßnahmen ergreifen«, sagte sie. »Es war meine letzte Chance, die Kontrolle wiederzuerlangen. Noch ein oder zwei Jahre, und er wäre zu alt gewesen. Zu stark.«
    »Hat es funktioniert?«
    »Meinen Sie, ob all unsere Probleme verschwunden sind? Natürlich nicht. Dafür haben wir einen ganzen Haufen neuer Probleme bekommen. Dieses alte Haus mit seinen knarrenden Balken. Und eine Praxis, die ich anscheinend ganz allmählich ruiniere.«
    »Brauchen die Leute hier denn keinen Doktor?«
    »Sie hatten einen Doktor. Den alten Dr. Pomeroy, der letzten Winter gestorben ist. Offenbar können sie in mir kaum mehr als einen schwachen Abklatsch sehen.«
    »Es braucht seine Zeit, Claire.«
    »Es sind schon acht Monate vergangen, und ich kann noch nicht mal die Kosten decken. Jemand, der es auf mich abgesehen hat, hat meinen Patienten anonyme Briefe geschrieben. Hat sie vor mir gewarnt.« Sie sah die Brandyflasche an, dachte: Zum Teufel, was soll’s, und schenkte sich noch einmal ein.
    »Aus dem Regen in die Traufe.«
    »Warum bleiben Sie dann hier?«
    »Weil ich immer noch hoffe, daß es besser wird. Der Winter wird vorübergehen, es wird wieder Sommer werden, und wir werden beide glücklich sein. Das ist jedenfalls der Traum. Es sind die Träume, die uns bei der Stange halten.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Brandy und stellte fest, daß die Flammen auf angenehme Weise unscharf wurden.
    »Und was ist Ihr Traum?«
    »Daß mein Sohn mich wieder so lieben wird wie früher.«
    »Sie klingen so, als hätten Sie Zweifel.«
    Sie seufzte und hob das Glas an die Lippen. »Kindererziehung besteht aus nichts als Zweifeln.«
    Von ihrem Bett aus konnte Amelia die schallenden Schläge aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter hören, das unterdrückte Schluchzen und Wimmern und das zornige Grunzen, das jeden Schlag begleitete.
    Blödes Miststück! Wag es ja nicht, mir noch mal Kontra zu geben! Hast du verstanden? Hast du verstanden?
    Amelia dachte an das, was sie dagegen unternehmen konnte – an all das, was sie schon unternommen hatte. Nichts davon hatte genützt. Zweimal schon hatte sie die Polizei gerufen; zweimal hatten sie Jack ins Gefängnis gebracht, aber jedesmal war er

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