Trügerischer Friede
bekannt vorkam. Sie trug eine lehmbraune, knöchellange Robe, um die Schulter lag eine bestickte Leinenstola. »Ich bin Fioma.« Sie deutete auf die Priester um sie herum. »Das sind die Vertreter der Götter die in Kensustria verehrt werden, und ich bin die Abgesandte Lakastras. Meine Pflicht ist es unter anderem, darauf zu achten, dass die Lehre meines Gottes rein bleibt und nicht durch falsche Auslegungen entehrt wird.«
»Wir hörten schon, dass meine Mutter ihre eigenen Lehren aufstellte«, sagte Estra und konnte die Augen nicht mehr
von den Zügen der Kensustrianerin wenden. Die Ähnlichkeit mit Belkala war verblüffend.
»Und eben darum ging es, als wir beschlossen, Belkala aus Kensustria zu vertreiben. Wir verschonten ihr Leben, weil sie einst die Hohepriesterin des Gottes Lakastra gewesen war und seinen Kult in Kensustria neu belebt hatte. Das war, ehe sie daran ging, die Worte Lakastras mit all ihrer Energie nach eigenem Gutdünken umzuformen.«
»Ich dachte, ein jeder darf seinem eigenen Glauben nachhängen?«, warf Estra spitz ein.
»Wir haben nichts dagegen, wenn jemand in unserer Mitte lebt und seinen eigenen Gott verehrt, ohne dass unsere Gesetze übertreten werden. Aber wenn er sich einem bekannten Gott wie Lakastra anschließt, hat er seine Weisungen zu beachten«, meinte Fioma und klang geduldig, bannte ihrerseits Estra mit Blicken. »Das tat deine Mutter nicht. Belkalas eigene Schüler richteten über sie und verstießen sie aus der Kaste, als sie verstanden, welche Veränderungen mit ihren Ansichten vorgingen. Es kam noch schlimmer. Erst nachdem sie Kensustria verlassen hatte, erfuhren wir, wie furchtbar ihre Verfehlungen in Wirklichkeit gewesen waren. Und so wurde das Todesurteil über sie verhängt.« Sie sah, dass Estra und Pashtak noch nicht ganz von der Schwere des Verbrechens überzeugt waren, und versuchte es mit einem Vergleich. »Angenommen, eine Frau zöge durch Ulldart und verkündete unentwegt, dass Ulldrael der Gerechte Menschenopfer verlange, den Mord an Neugeborenen fordere und ein jeder Mann sich das linke Auge aussteche, was würde wohl der Geheime Rat des Ulldrael-Ordens unternehmen?«
»Er würde sie fangen und verurteilen lassen«, räumte Pashtak ein. Fiona nickte. »Und wenn diese Frau eine Stadt errichtete,
deren Straßen und Gassen Symbole der grausamen, ketzerischen Lehre formten? Und die Stadt den Namen eines unaussprechlichen bösen Geistes trüge, der in Wirklichkeit das personifizierte Gegenbild Ulldraels wäre?« »Wir haben es verstanden.« Estra sah ein, dass es sinnlos war, gegen die Forderung der Priester zu protestieren.
»Alles, worum wir bitten, ist, dass unserer Stadt mehr Zeit eingeräumt wird«, sprach Pashtak. »Wir möchten, dass der Friede mit Kensustria gewahrt bleibt. Gebt uns«, er richtete seine gelben Augen auf die Menge, »ein halbes Jahr. Damit ist viel gewonnen. Wir benötigen einen Aufschub!«, bat er inständig.
Fioma und Iunsa schauten sich an, Fioma bewegte kaum merklich den rechten Zeigefinger nach unten.
»Wir beraten darüber«, sagte Iunsa daraufhin. »Eine Bedingung stelle ich schon jetzt: Estra bleibt hier, solange wir es wünschen.«
»Nein«, sagte Pashtak knurrend. »Sie hat eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, und sie muss den Mord an Eurer Delegation aufklären. Das kann sie nicht, wenn sie hier in Khömalin sitzt.«
Iunsa reckte das Kinn, es sah überheblich aus. »Sie bleibt, oder der Angriffsbefehl an das Heer vor Ammtara geht noch heute auf die Reise«, erwiderte er unnachgiebig. Estra drückte die klauenartige Hand Pashtaks, bevor sie losließ und sich neben Fioma stellte. »Pashtak wird den Mörder finden«, lenkte sie mit belegter Stimme ein.
»Gut. Sehr gut«, lächelte Iunsa zufrieden. Pashtak hätte ihm am liebsten das selbstgefällige Gesicht zerkratzt. »Dann können wir .. «
Die Türen wurden geöffnet, zwei Bewaffnete traten ein
und flankierten die Kriegerin, welche Estra und Pashtak begleitet hatte. Sie kamen nach einer tiefen Verbeugung in den
Saal, blieben vor Iunsa stehen.
»Es gab einen Zwischenfall, Iunsa«, sagte die Kriegerin und warf den Fremden einen feindseligen Blick zu. »Der Ritter und das Ungeheuer haben Troman getötet sowie einen Boten schwer verletzt.«
Estra wurde schlagartig blass, Pashtak girrte leise vor Aufregung. »Es ist meine Schuld. Ich habe ihnen befohlen, uns Zeit zu verschaffen«, setzte er zur Verteidigung Tokaros und Gans an. Iunsa seufzte. »Das ist unerheblich.
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