Trügerischer Friede
verschwunden. Die starke Strömung des Flusses hat ihn davongetragen.«
Aljascha zog die aldoreelische Klinge und legte sie dem knienden Mann mit der flachen Seite nach unten auf die gerüstet Schulter, nicht weit vom verletzlichen Hals entfernt.
»Ihr habt mich heute enttäuscht, Lukaschuk, und damit auch
meinen Sohn, Euren zukünftigen Gott.« Ihr Blick war unerbittlich, als sie sich langsam zu ihm niederbeugte. »Lasst es nicht
noch einmal geschehen, sonst wird sich der Orden Tzulans einen neuen Hohepriester erwählen müssen«, warnte sie ihn und gab ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Erst danach nahm Aljascha das todbringende Schwert von ihm.
Kontinent Ulldart, Königreich Tarpol, Hauptstadt Ulsar, Herbst im Jahr 1 Ulldrael des Gerechten
(460 n. S.)
Lodrik stand im Audienzzimmer des Palastes und ging um den Mann herum, betrachtete ihn genau von allen Seiten und suchte nach Makeln.
Der schwarze Vollbart lag auf der Brust, die Hände waren unter dem deutlich sichtbaren Bauch gefaltet, die bescheiden gehaltene Kleidung des Brojaken fiel um den Körper, wie sie es sollte. Alles schien vollkommen.
»Freust du dich darauf, sie wieder zu sehen?«, fragte Lodrik ihn neugierig. Die braunen Augen des Mannes schauten ihn voller Verachtung an, der Blick war ein einziger Vorwurf.
»Keinen Dank dafür, dass ich es dir ermögliche, sie mit deinen eigenen Augen zu sehen ? Sie in die Arme zu schließen?«, hakte Lodrik enttäuscht nach und blieb vor ihm stehen. »Weißt du, welche Mühe es mich gekostet hat?«
»Und hast du eine Vorstellung, was es für mich bedeutet?«, gab der bärtige Mann schroff zurück. »Du hast mich entführt,
aus einer unvergleichlichen Geborgenheit gerissen!«
Ein böses Lächeln stahl sich auf das dürre, bleiche Gesicht.
»Was gibt es dort, dass es sich lohnt, für immer verweilen zu wollen? Sieh es als Abwechslung zu deiner langweiligen Existenz.« Er senkte die Stimme. »Ich zumindest fand es nicht erstrebenswert zu bleiben.«
»Du? Du hast gar nichts entschieden!«, entgegnete der Mann empört. »Du verdankst es deiner Magie, dass du nicht im Jenseits geblieben bist.« Er kam auf ihn zu. »Es ist kein Segen, nicht wahr, Lodrik?«, raunte er und freute sich, als er an den Augen des anderen erkannte, dass seine Bemerkung ins Schwarze traf. »Es ist ein Fluch, den nicht einmal Vintera von dir nehmen kann.«
Bevor Lodrik antwortete, wurde die Tür geöffnet. Norina betrat den opulent eingerichteten Saal, in dem Kronleuchter, Stuck und Blattgold regierten und an dessen Wänden die Gemälde längst verstorbener tarpolischer Herrscher hingen.
»Lodrik?«, fragte sie ungläubig und freudig. »Wie schön, dass du uns besuchst!« Sie lief herbei und wollte sich in seine Arme werfen, unhoheitlich sein und die Anwesenheit ihres Gemahls genießen. Da entdeckte sie die allzu vertraute Gestalt, die neben ihm stand.
Sie blieb wie angewurzelt stehen, starrte sie an, dann riss sie eine Hand vor den Mund, um einen leisen Schrei zu unterdrücken.
»Vater!« Norina wagte sich nicht näher. »Träume ich? Wie kann es sein, dass du wie lebendig vor mir stehst, ob
wohl du seit Jahren tot bist?« Sie kam zu ihm und streckte
die zitternde Hand nach ihm aus. Er ergriff ihre Finger und
drückte sie, eine Träne funkelte im linken Augenwinkel. »Sie sind kalt«, sagte sie leise, und endlich verstand sie. Bestürzt
schaute sie zu Lodrik. »Bei Ulldrael! Du hast .. « Ihr verschlug es die Sprache.
»Ich wollte dir einen Gefallen tun, Norina«, erklärte er sanft und liebevoll. »Ich habe seine Seele aus dem Jenseits
geholt, damit du ihn sehen und mit ihm sprechen kannst.«
Norina betrachtete ihren Gemahl wie einen Fremden. »Du hast seiner Seele ihren Frieden geraubt!« Sie schaute zu dem Abbild ihres Vaters, las in den geliebten Zügen die Qualen, welche er durchlitt. »Wie konntest du nur? Begreifst du nicht, was du getan hast?«
Der unerwartete Vorwurf und ihr deutliches Missfallen trafen Lodrik, verletzten ihn. »Es ist nichts Schlimmes«, erwiderte er und machte ihren Unmut damit noch ärger. »Sie spüren kaum etwas .. «
»Schick seine Seele zurück«, verlangte sie hart. »Aber ihr habt euch noch nicht einmal unterhalten«, begehrte er schwach auf. »Du hast dir so sehr gewünscht, dass er an deiner Seite stünde und dir Ratschläge geben könnte. Ich ertrug es nicht länger, dich weinen zu hören, deine Tränen und deine Verzweiflung zu sehen, wenn du von ihm
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