Trügerischer Friede
sprachst.« Er hob den Arm und deutete auf Ijuscha Miklanowo. »Hier steht er vor dir, Norina, dein Traum.«
»Es ist ein Albtraum«, erwiderte sie voller Abscheu und blitzte Lodrik mit ihren Augen wütend an.
»Beende ihn und erlöse seine Seele von den Schmerzen!«
Lodrik fühlte sich falsch verstanden, er wich zurück. »Ich wollte . .«
»Beende ihn!«, schrie sie, die Fäuste geballt und halb zum
Schlag erhoben.
Der Nekromant lockerte die unsichtbaren Bänder, welche
er um die Seele ihres Vaters geschlungen und an denen er sie aus dem Jenseits in diese Welt gezogen hatte. Augenblicklich verlor das Abbild seine Intensität und flackerte unstet. Ijuschas Leib löste sich auf; daraus formte sich die Seele zu einer türkisfarbenen Kugel und schwebte einmal um Norina, ehe sie durchsichtig wurde und verschwand.
»Wie konntest du nur?«, fragte sie ein weiteres Mal sehr leise, traurig und enttäuscht. Sie näherte sich ihm und streckte die Hand nach seinem fahlen Gesicht aus, wollte es streicheln, um ihm zu zeigen, dass sie ihm verzieh. »Hast du nicht bemerkt, wie sehr er gelitten hat?«
Lodrik zog den Kopf weg und wies die entschuldigende Geste zurück. »Ich wollte dir eine Freude bereiten«, erwiderte er knapp.
»Eine Freude würdest du mir machen, wenn wir uns öfter sähen«, sagte sie und klang wesentlich ruhiger. In ihren braunen Augen stand die Sorge. »Du veränderst dich zu sehr, mein geliebter Gemahl. Du verbringst mehr Zeit mit den Toten als mit den Lebendigen.«
»Ich erforsche meine Fähigkeiten, damit ich mehr über sie lerne und sie einsetzen kann, falls Ulldart sie eines Tages benötigt«, verteidigte er sein seltenes Erscheinen.
Norina versuchte wieder, ihn zu berühren, wieder ließ er es nicht geschehen. »Ich habe dich mit meiner Ablehnung gekränkt«, verstand sie. »Du musst mich verstehen. Es war ein Schreck für mich, meinen toten Vater vor mir stehen zu sehen und zu begreifen, dass du seine Seele aus dem !. «
»Was bedeutet schon eine Seele ?«, fiel er ihr kalt ins Wort.
»Sie ist nichts weiter als die Essenz eines Menschen, genau
so viel oder so wenig wert wie der Körper, in dem sie steckte. Und sie ist absolut nutzlos.« Lodrik wandte sich zum Gehen. »Du musst dich nicht mehr um ihn sorgen. Ich werde ihn im Jenseits modern lassen, wie ihr beide es wünscht.«
»Was redest du? Die Seele ist das Kostbarste«, widersprach sie. »Sie fährt nach dem Tod zu den anderen Seelen
der Ahnen und...«
»Und was macht sie dort, Norina?« Er drehte sich abrupt um, die blauen Augen bohrten sich in die ihren. »Sie ist dort und tut nichts. Sie hat keine Aufgabe mehr und wartet in alle Ewigkeit, dass sie vielleicht wiedergeboren wird. Ist das nicht schrecklich?« Er zuckte mit den Achseln und ging zur Tür.
»Aber wenn ihr es wollt, soll es so sein.«
Norina verspürte den Drang, ihm zu folgen und ihn festzuhalten. Tatsächlich machte sie ein paar Schritte hinter ihm her, bevor sie gegen die Wand aus Angst lief, die er um sich herum aufgezogen hatte. Ihr Herz raste, die Härchen auf den Armen und im Nacken richteten sich auf, kalter Schweiß
brach aus ihren Poren, und sie wankte rückwärts, um dem Grauen zu entfliehen. »Lodrik, ich brauche dich«, wisperte sie bittend, blickte ihm hinterher. »Ich brauche deinen Rat und . .«
Er hatte den Ausgang aus dem Saal erreicht, öffnete die Tür. »Schreib mir auf, was du wissen möchtest«, sagte er laut und abweisend. Die hohe Decke des Audienzzimmers ließ seine Stimme schallen und gab ihr einen gruftgleichen Klang. Hart schlug er die Tür hinter sich zu. Die Kabcara starrte auf die Tür und bat, dass sie sich wieder öffnete und er zurückkehrte zu ihr, sie sich in die Arme sanken und gegenseitig entschuldigten.
Doch es tat sich nichts.
Norina wartete, ohne dass sie spürte, wie die Zeit verrann. Schließlich kehrte sie in ihre Gemächer zurück. Sie setzte sich an ihr Arbeitspult und verfasste einen Brief an Perdor, in den sie all ihre Verzweiflung über die Entwicklung legte, die Lodrik genommen hatte, seit ihn die Magie vor dem Tod bewahrt hatte.
»So bitte ich Euch inständig, mir Soscha Zabranskoi zu senden, damit sie nach seiner magischen Aura sieht und einzuschätzen vermag, wie sehr ihn die Geisterwelt verändert hat und ob ich diese Veränderung aufhalten kann«, lautete der letzte Satz.
Sie sandte das Schreiben noch in der Nacht mit einem Kurier nach Ilfaris, kaum dass das Siegelwachs erkaltet war. Danach begab sie sich
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