Trümmermörder
lächelt.
Stave kramt in seinem Schreibtisch, bis er einen großen Stadtplan findet, den er umständlich auseinanderfaltet. Nachkriegsprodukt: Grau auf rot sind die Flächen schraffiert, die zerbombt sind. Ziemlich viele. Mit Heftzwecken pinnt Stave den Plan an eine Bürowand, dann drückt er drei Nadeln mit roten Köpfen in schraffierte Flächen: die Fundorte der Leichen.
Die anderen beobachten ihn schweigend. Maschke raucht, Czrisini wirkt, als würde er bei einer interessanten Operation zusehen, MacDonald hat den Blick des Militärs, der einen Feldzug plant, Erna Berg – eine dampfende Kanne in Händen – ist im Türrahmen stehen geblieben und starrt erschrocken auf die Karte.
»Der schlägt ja überall zu«, murmelt sie.
»Dreimal ist nicht überall«, entgegnet Stave, eine Spur schärfer, als er wollte. »Wie könnten die Opfer miteinander verwandt sein?«, fragt er und blickt Czrisini an.
Der Pathologe nickt bedächtig. »Ein Großvater, seine Tochter und deren Tochter? Möglich. Vom Alter her würde es gerade eben passen: Wenn wir bei dem ersten Opfer, der jungen Frau, die oberste Altersgrenze annehmen. Ich schätze sie auf maximal zweiundzwanzig Jahre. Wenn wir bei dem Mädchen die unterste Grenze nehmen: sechs Jahre. Dann hätten wir eine sehr junge Mutter. Und ihren sehr alten Vater, denn der war ja etwa siebzig Jahre alt. Möglich auch, dass das erste und dritte Opfer Geschwister sind, zwei Mädchen, etwa zehn Jahre auseinander. Der Alte wäre dann ihr Großvater. Halte ich persönlich für plausibler, wenn auch nicht für sehr wahrscheinlich. Denn wie soll man das beweisen? Ich finde bislang keine Auffälligkeiten, die eindeutig vererbt wären, Muttermale etwa.«
»Aber es gibt auch nichts, das gegen eine Verwandtschaft der Opfer spricht?«
»Nein.«
»Außer den Fundorten der Leichen«, wirft Maschke ein und deutet mit seiner glimmenden Zigarette auf den Plan. »Die Toten liegen verdammt weit auseinander. Wenn die eine Familie gewesen sind, hätten die doch zusammengelebt. Zumindest das Kind bei der Mutter – oder die beiden Geschwister lebten zusammen, wenn es denn wirklich Schwestern sind.«
»Oder sie lebten beim Großvater«, ergänzt MacDonald. »Wie dieser Mainke, der bei seiner Oma unterkam.«
»Wir dürfen nichts ausschließen«, erwidert Stave und fährt sich mit der Hand über den Kopf. »Angenommen, es ist eine Familie. Angenommen, sie werden am gleichen Ort ermordet. Erinnern wir uns: Der Fundort muss nicht der Tatort sein. Wäre es nicht sogar möglich, dass sie zur gleichen Zeit getötet worden sind? Und dass der Täter sie dann an verschiedenen Stellen in der Stadt abgelegt hat? Um seine Spuren zu verwischen?«
Czrisini zögert. »Es ist so unglaublich kalt«, murmelt er gedankenvoll, »da gibt es kaum vergleichbare Werte. Möglich ist es schon: Gleicher Todeszeitpunkt, wir haben sie nur zu verschiedenen Zeiten entdeckt. Bei der jungen Frau und dem Alten bin ich mir da ja schon sicher, beim Mädchen werde ich bald mehr wissen.«
Stave stellt sich den kleinen Körper auf dem Stahltisch des Pathologen vor, blickt rasch aus dem Fenster. Über manche Dinge soll man nicht zu genau nachdenken.
MacDonald seufzt. »Das könnte bedeuten, dass da noch mehr Opfer irgendwo herumliegen, die wir nur bislang nicht gefunden haben: Der Vater, die Großmutter, weitere Geschwister des Kindes …«
»Ich halte es trotzdem für wahrscheinlicher, dass die Opfer nichts miteinander zu tun haben«, sagt Maschke und wirbelt mit seiner Zigarette so herum, dass ihre Glut der Karte gefährlich nahe kommt. »Sie waren alle auf Trümmergrundstücken, vielleicht haben sie etwas gesucht, vielleicht sind sie nur eine Abkürzung gegangen. Dort lauerte ihnen der Mörder auf. Der Fundort ist der jeweilige Tatort. Das Medaillon ist die Signatur eines Wahnsinnigen.«
»Das würde bedeuten, dass die Opfer aus drei verschiedenen Familien stammten, an drei verschiedenen Orten gewohnt haben. Dann müsste sich doch zumindest für einen der Toten irgendjemand melden, um ihn zu identifizieren«, murmelt Stave. »Es kann doch einfach nicht sein, dass mitten in Hamburg so viele Menschen ermordet werden, ohne dass sie jemand vermisst.«
»Beim Kind wissen wir es ja auch noch nicht«, erinnert ihn Doktor Czrisini sanft.
»Ja«, antwortet der Oberinspektor und nickt. »Drucken wir ein neues Plakat. Maschke, organisieren Sie das: die höchste Auflage, die wir kriegen können. Packen Sie auch ein Foto des Medaillons
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