Trugschluss
diese
strengen Sicherheitsvorkehrungen und Geheimhaltungspflichten ihm zusehends zu
schaffen machten. Andererseits brauchte er in solchen Augenblicken dann nur auf
den Stand seines Bankkontos zu blicken, um aufkommende Zweifel zu unterdrücken.
Bei allem, was er bisher verdient hatte, konnte er sich schon jetzt auf ein
finanzielles Polster stützen, das ihm für den Rest seines Berufslebens sehr
dienlich sein würde. Natürlich, das war ihm klar, war die Aufgabe hier in
Lugano zeitlich begrenzt. Zwar hatte sich Armstrong nie konkret geäußert, doch
deutete vieles darauf hin, dass ihr Projekt in der Abschlussphase stand.
Möglicherweise war diese verlängerte Weihnachtspause ein Zeichen dafür, dass in
den ersten Monaten des Jahres 2004 die Sache abgeschlossen sein würde. Dann
musste er sich eine neue Arbeitsstelle suchen, doch große Eile würde er nicht
an den Tag legen. Vielleicht ergab sich ja auch mit Anja etwas, drüben, im
traumhaften Morcote.
Sein Besucher hatte sich erst vor zwei
Tagen angekündigt, ohne jedoch konkret seine Ankunft oder die Dauer seines
geplanten Aufenthalts benennen zu können. Auch Vollmer war überrascht gewesen.
Offenbar aber hatte sich eine günstige Situation ergeben. So jedenfalls war es
aus den Andeutungen am Telefon zu entnehmen gewesen: »Es wird höchste Zeit.«
Was genau der väterliche Freund allerdings mit dieser abschließenden Bemerkung
gemeint hatte, war dem jungen Mann nicht klar geworden. Er würde ihm morgen
eine Übernachtungsmöglichkeit besorgen, drunten in der City, möglichst direkt
am See, vielleicht sogar drüben in Paradiso.
Es dauerte nicht lange, bis die Kollegen der Spurensicherung mit
ihrem weißen Mercedes-Sprinter eintrafen. Häberle und Linkohr begrüßten die
vier Spezialisten, die sich astronauten-ähnliche Umhänge anzogen. Es war an
jedem Tatort dieselbe Prozedur: Möglichst keine Spuren verwischen. Was jetzt
zerstört wurde, war nie mehr wieder zu reparieren. Ein Tatort, so hatte es
Linkohr noch aus seiner Ausbildung in Erinnerung, sei wie ein offenes Buch –
man müsse nur verstehen, darin zu lesen. Jeder Täter hinterlässt Spuren – auch
wenn er noch so sehr aufpasst. Eine Hautschuppe, ein Haar oder ein bisschen
Speichel bleibt überall zurück. Fingerabdrücke konnte man vermeiden oder
abwischen, doch alles andere wird unterm Mikroskop sichtbar gemacht. So gesehen
hat ein Täter heutzutage keine Chance mehr – vorausgesetzt natürlich, man kann
den Kreis der Verdächtigen eingrenzen und ihn mit Vergleichsproben überführen.
Noch einfacher, wenn auf Grund einer vorausgegangenen Tat eine Erbgut-Analyse
von ihm bereits in einer Datei gespeichert ist.
Häberle erklärte den Spezialisten, dass er
und sein Kollege nicht die gesamte Spurensicherungsarbeit abwarten wollten. Er
bat sie deshalb, zunächst das Innere des Wagens grob zu untersuchen, das
Handschuhfach und den Kofferraum.
Die Fahrertür war tatsächlich nicht
verriegelt. Die Experten nahmen mit selbstklebenden Folien Abdrücke von den
Sitzpolstern, um aus winzigsten Fusseln später herausfinden zu können, welche
Hose der letzte Fahrer getragen hat. Vermutlich fanden sich unter den
sichergestellten Partikeln auch bereits Haare und Schuppen.
Im Handschuhfach lagen die üblichen
Papiere, darunter das Serviceheft und die Gebrauchsanweisung, aber auch eine
Landkarte von der Schweiz. Erleichtert stellten die Spurensicherer fest, dass
die Heckklappe des Kombis nicht verschlossen war. Sie nahmen zunächst von dem
Druckknopf die Fingerabdrücke ab und schwenkten dann die schwer gängige Heckklappe
nach oben. Vor den Männern tat sich eine nahezu leere Ladefläche auf. Was sie
hinter die Rücksitzbank geklemmt sahen, das versetzte die weiß gekleideten
Spurensicherer überhaupt nicht in Erstaunen – umso mehr aber Häberle. »Ich fass
es nicht«, entfuhr es ihm. Die Kollegen, einschließlich Linkohr, schauten ihn
wie auf Kommando an. Mit allem hatte er gerechnet, aber mit dem nicht. Langsam
begann er, an seinem Verstand zu zweifeln. Oder würde am Ende doch Linkohr
recht behalten, der auf Grund seiner jugendlichen Unbeschwertheit alles für
möglich hielt?
Die Männer schwiegen für ein paar Sekunden
und erwarteten, dass der Chef-Ermittler etwas sagte. Doch dem fehlten die
Worte. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt.
44
»Wie stellen Sie sich Ihr Vorgehen vor?« Der dunkelhäutige Araber
hatte am Vormittag telefonisch schon wieder auf einem Treffen bestanden. Ihm
schien plötzlich
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