Trust Me - Blutiges Grauen
gewissermaßen ganz allein zurückgelassen hatte. Deshalb versuchte er bisweilen, sie einzubeziehen. Vergangenen Monat hatte er sie beispielsweise über Weihnachten eingeladen. Doch so gut er es auch meinte: Er hatte schon Jennifer und Brenna und zwei jüngere Kinder mit seiner neuen Frau. In seinem Leben gab es keinen Platz für sie. Skye wusste seinen guten Willen zu schätzen, doch sie wagte nicht, ihn wie einen Vater zu lieben. Denn sie fürchtete, diese nette Geste sei nichts weiter als das – eine nette Geste.
“So läuft das nun mal”, sagte sie und versuchte möglichst gelassen zu klingen.
“Warum ziehst du dich immer zurück, wenn irgendwas Schlimmes passiert?”, fragte Jennifer.
“Ich ziehe mich nicht zurück. Ich habe nur viel zu tun, wie ich schon sagte.”
Sie war erleichtert, dass Jennifer nicht weiter auf diesem Thema herumhackte. Es war ein alter Streitpunkt zwischen ihnen, und sie wollte es wirklich nicht wieder durchkauen. “Wird er wieder nach Sacramento ziehen?”, erkundigte sich ihre Stiefschwester.
Die Ampel schaltete auf Grün um. Skye fuhr langsam weiter. Sie wollte nicht bei der Baufirma ankommen, bevor sie das Telefonat mit Jennifer beendet hatte. Aber das brachte ihr ungeduldiges Hupen von dem Wagen hinter ihr ein. “Ich fahre ja schon”, murmelte sie.
“Was hast du gesagt?”
“Burke kann nicht wieder als Zahnarzt arbeiten. Aber seine Frau wohnt noch hier und der Rest der Familie auch.”
“Schämt er sich denn nicht, ihnen wieder gegenüberzutreten? Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich lieber in einer Höhle verkriechen, als zurückzukommen, nachdem ich wegen so etwas im Gefängnis war.”
“Er ist aber anders als du. Zuerst mal fühlt er sich für das, was man ihm vorwirft, nicht verantwortlich. Er betont, dass er unschuldig ist, und es gibt Leute, die ihm das glauben. Wir hatten ein paar Fälle von Vandalismus im Büro, weil ich einem
liebenden Familienvater
so etwas angetan habe.”
“Dahinter steckt womöglich seine Frau.”
Vielleicht. Böse genug waren die Briefe von Jane Burke ja gewesen.
“Ich kann einfach nicht verstehen, warum sie ihm glaubt”, ereiferte Jennifer sich. “Mein Gott, er hat …”
Sie stoppte sich noch rechtzeitig, bevor sie es aussprechen konnte. Dafür war ihr Skye dankbar. Sie musste nicht daran erinnert werden, was er getan hatte. Noch immer litt sie unter Albträumen, in denen sie spürte, wie Burkes Klinge ihren Hals aufritzte. Albträume, in denen sie gegen sein Gewicht ankämpfte, das sie auf die Matratze drückte – nur, um aufzuwachen und herauszufinden, dass sie sich in der Bettdecke verheddert hatte. Er musste vor dem Überfall ein Pfefferminz gelutscht haben, denn noch immer verband sie diesen Geruch automatisch mit ihm. Und noch immer wurde ihr allein schon beim Anblick von Pfefferminz übel. “Er darf sich niederlassen, wo er möchte”, sagte sie. “Er ist ein freier Mann.”
“Wirst du erfahren, wo er wohnt?”
“Er ist als Sexualstraftäter registriert, sodass man ihn im Auge behalten kann.” Ob das jemanden interessierte, war eine andere Frage. In Sacramento gab es nur zwei Detectives, die sich um mehr als zweitausendfünfhundert vorbestrafte Vergewaltiger kümmerten.
“Hm. Und was willst du tun? Willst du dich jeden Morgen zum Tee am Computer durch die Verbrecherkartei von Sexualstraftätern klicken?”
“Glücklicherweise gibt es überhaupt eine Datenbank! Stell dir mal vor, wie hilflos sich die Opfer früher gefühlt haben.”
“Warum ziehst du nicht zu uns, wo du deine Vergangenheit vergessen kannst und dich nicht bedroht fühlst? Brenna wird die meiste Zeit in San Diego sein, weil sie ihren Abschluss macht, aber sie kommt einmal im Monat zu Besuch. Und Dad ist auch nicht weit.”
Aber Skye konnte die Vergangenheit nicht hinter sich lassen, indem sie Sacramento den Rücken kehrte. Sie würde sich nur in falscher Sicherheit wiegen. “Ich möchte aber nicht umziehen, Jen.”
“Warum nicht? Hier gibt es auch jede Menge Gewaltverbrechen. Wir sind in L.A., schon vergessen? Du könntest eine Zweigstelle einrichten.”
Skye lebte gern in dem Haus, in dem sie aufgewachsen war. Außerdem brauchten Sheridan und Jasmine sie. Und auch wenn sie es nicht zugeben wollte, nicht mal vor sich selbst … Detective Willis war hier. “Vielleicht irgendwann mal.”
Diese Antwort wurde mit Schweigen quittiert.
“Jennifer?”
“Ich weiß nicht, was ich sagen soll”, räumte ihre Stiefschwester
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