Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
nicht existieren könne. Das prägte sich ihm tief ein. Seine bisherigen Erlebnisse taten ihr Übriges dazu.
Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, wenn er mit Erwachsenen redete...wenn er überhaupt etwas sagte - meistens wich er ihnen aus. Instinktiv war auch das eine Liebes-Aufforderung seinerseits: Er spielte kleines Kind, weil er in diesem Alter noch mehr Akzeptanz gefunden hatte. Doch die Leute mokierten sich über diese Wisper-Stimme, was zu seiner Redseligkeit nicht besonders beitrug. Kaum einer wusste, dass Michael auch ganz normal reden konnte und eine noch nicht einmal allzu helle Stimme besaß. Die kannten allerdings nur Kinder und eng Vertraute.
Ich hatte zu der Episode mit der Frau am Flughafen geschwiegen. Sie war so typisch.
Oft sind es winzige Momente, unerkannt, die in uns den entscheidenden roten Knopf drücken für das Ingangsetzen eines lebenslangen Musters, das unsere Gedanken einfärbt, das unsere Handlungen generiert, um dann wiederum unseren Charakter und unser Schicksal zu bestimmen. Einem anderen Menschen, unter normalen Umständen aufgewachsen, hätte diese Begebenheit nicht lange etwas ausgemacht. Michael, für den Außenwirkung ein Überlebensprinzip war, wurde von dieser Flughafen-Begegnung geprägt. Er empfand sich als hässlich. Und er wusste, wenn er hässlich war, würden ihn die Menschen nicht so lieben. Aber Liebe war sein Elixier. Ohne Liebe würde er zugrunde gehen. Ohne Liebe ging alles zugrunde. Liebe war das, was er geben wollte, weil er sie in sich fühlte. Liebe, davon war er überzeugt, war die Macht, die die Welt und ihn am Leben erhielt.
Er stellte eine Zeitlang seine Ernährung um und wurde seine Pickel los. Der Vegetarismus veränderte seine Gesichtskonturen und die Proportionen wurden harmonisch. Seine Stimme hatte den Stimmbruch mehr als gut überstanden – Michael übte sehr viel und sein Gesangslehrer war begeistert von der Spannweite, die diese Stimme hergab. Auch ohne Welpenfaktor wirkte Michael überaus charismatisch.
Die Groupies hatten längst begonnen, auch ihm hinterher zu stellen. Er war nun auch ein Kandidat fürs Bett. Aber Michael weigerte sich. Als er eines Tages ein Mädchen sah, das auf dem Weg zu einem seiner Brüder war, sagte er zu ihr: „Geh nicht.”
„Was?“, fragte sie verdattert.
„Geh nicht“, sagte er, „schlaf nicht mit ihm. Warum tust du das?“
Das Mädchen sah ihn verständnislos an. „Ich gehe jetzt zu deinem Bruder und schlafe mit ihm“, sagte sie, „und ich werde es genießen.“
„Du wirst es bereuen“, antwortete Mike.
„Warum? Ist er nicht gut im Bett? Bist du besser?“
„Das ist es nicht. Du wirst es trotzdem bereuen.”
Eine halbe Stunde später kam das Mädchen wieder aus dem Zimmer. Sie weinte. Michael stand unten am Taxi, als sie einstieg. Er drückte ihr einen Zettel in die Hand. Mit tränenverschleierten Augen sah sie ihn an. Mike schlug die Autotür zu und sie fuhr davon. Zitternd entfaltete sie die Notiz: ‚Believe in love’, stand drauf, ‚Michael’.
***
Den männlichen, älteren Mitgliedern, einschließlich und allen voran Joseph, war das jungfräuliche Verhalten Michaels nicht ganz geheuer.
„Was ist mit dem Jungen?“, fragte Joe. „Tickt er nicht richtig? Er ist umgeben von Süßigkeiten und nascht nicht? Was hat er?“
„Vielleicht ist er schwul“, mutmaßte einer der Brüder. Aber Tito schüttelte den Kopf. „Das ist er sicher nicht“, antwortete er, „Michael sagt, er schläft nur mit dem Mädchen, das er auch heiratet. So wie es in der Bibel steht.”
„Was ist das für ein Blödsinn“, knurrte Joe. „Er muss Erfahrung sammeln...was soll dieses heilige Gequatsche...könnt ihr ihm nicht ein paar Tipps geben?“
„Nee, der ist stur“, sagten sie, „selbst, wenn er die Mädels nackt auf dem Bett hätte...“
Elektrisiert sahen sie sich an. Und alle hatten die gleiche glorreiche Idee. Kichernd wählten sie eine Nummer und bestellten zwei heiße Bräute für ihren unberührten Bruder.
Am späten Nachmittag kam Michael nach Hause zurück.
„Er kommt! Er kommt!“, rief Marlon und alle bezogen Stellung, um möglichst viel von seiner Entjungferung mitzubekommen. Michael ging nach oben und öffnete die Tür seines Zimmers. Das erste, was sie hörten, war ein entsetzter Schrei. Mike quiekte wie eine hysterische Hausfrau, die eine Spinne im Bad entdeckt hatte. „Oh my God! Oh my God!“ kreischte er. „Was ist das? Was ist das?“
Die Brüder bekamen einen
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