Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
mir vorbei – offensichtlich hatten sie den gleichen Eingang benutzt. Nur gut, dass ich mein Auto abseits abgestellt hatte!
Dann war es wieder still. Kein Mike, kein Frank. Kein Hund. Kein Wachposten.
Vorsichtig rappelte ich mich auf. Mit aufgestellten Ohren schlich ich zum Giving Tree und da...da lag es... auf halbem Weg, senkrecht zwischen den Gräsern gefangen. Ein Foto. Wieder drei Gesichter. Diesmal zwei Mädchen und ein junger Mann. Das Gesicht eines der Mädchen und eines jungen Mannes waren die gleichen wie auf dem Foto, das ich in der Bibliothek gefunden hatte. Ich drehte es um: ‚Love’ stand drauf. Und ein englisches Wort, das ich auf die Schnelle nicht entziffern konnte. Es sah aus wie ‚innocent!’ Ich steckte das Foto in meine Hosentasche, dann lauschte ich in die Nacht.
Weiter hinten hörte ich Geräusche, zwei sich unterhaltende Stimmen. Aber dieses Bild machte mich mutiger, als ich eigentlich war. Trotz der Gefahr, erwischt zu werden, ging ich weiter auf den Giving Tree zu. Fasste mit beiden Händen an seine Rinde; Ich wollte ihn noch einmal spüren, bevor ich wieder zurück musste. Und als ob seine Magie auf mich überströme, senkte sich mein Blick nach unten. Heute war die Nacht der Schätze! Da lag eine etwa ein Zentimeter dicke blaue Mappe, im DIN A 5- Format. In ihr waren jede Menge loser, voll beschriebener Blätter.
Die Stimmen näherten sich. Angestrengt lauschte ich in die Nacht. Und vernahm Stimmen aus zwei Richtungen. Michael und Frank hatten ihren Verlust bemerkt und befanden sich auch wieder auf dem Weg hierher. Es war Wahnsinn, ich weiß. Aber obwohl die Stimmen immer näher kamen, schlug ich die Mappe auf und versuchte, trotz der Dunkelheit, etwas zu entziffern.
„Frank ...und noch etwas stand da. Eine Adresse vielleicht. Verdammt, es war zu dunkel! Hektisch blätterte ich weiter. Es war alles handschriftlich, in der Dunkelheit nicht zu entschlüsseln. Ehe ich überhaupt nachdenken konnte, zog ich fahrig meinen Fotoapparat aus der Tasche, ging etwas um den gigantischen Stamm herum, legte das Heft auf den Boden und knipste die erste Seite. Das Blitzgeräusch erschien mir unendlich laut. Trotzdem blitzte ich noch die zweite und dritte Seite ab. Die Stimmen kamen näher. Vierte Seite. Sie war die erste von vielen, die vollgeschrieben war. Der Blitz brauchte Regenerationszeit. Hektisch klickte ich auf den Auslöser. Nichts. Der Blitz wollte nicht. Verdammt! Jäh klappte ich das Heft zu, schwankte kurz, legte es instinktiv ein bisschen weiter nach hinten, so dass ein vorbeilaufender Wachposten es nicht sehen konnte, scharrte ein bisschen Laub drüber und warf mich ins Gebüsch.
Keine Sekunde zu früh. Frank pirschte sich an, schnappte sich die Mappe, sah sich hektisch um und fort war er. Ich hörte ihn und Mike rennen und kichern wie zwei kleine Buben.
Ich grinste. Dann fiel mir ein, dass ich das Foto noch bei mir hatte. Meinerseits schlich ich mich zum Ausgang, hörte Frank und Mikes Auto wegfahren. Ich wartete ein bisschen, fuhr dann so schnell ich konnte nach L.A., gab das Auto ab und ließ mich von Bob heimchauffieren. Ich kam mir vor wie Zorro persönlich. Beiläufig fragte ich Bob, ob Michael zuhause sei.
„Nee, der ist mit Frank unterwegs“, sagte Bob und gähnte. Er hatte Nachtschicht und ich versprach ihm, ihm Kaffee und Dattelbällchen vorbeizubringen.
Zu Hause angekommen, checkte ich die Lage: Grace mit den Kindern im Wohnzimmer, das Personal im Aufenthaltsraum, kein Posten im Haus.
Ich hatte Ruhe, mir die Rückseite des Fotos noch mal genauer anzusehen. Das Wort mit dem Ausrufezeichen, das ich fälschlich als ‚innocent’ entziffert hatte, hieß ‚innocuous’ – unverfänglich. Michael hatte es an sein Herz gedrückt – aber da mehrere Personen auf den Bildern waren, konnte ich mir aussuchen, wen er meinte. Es war in der Tat unverfänglich!
In einer plötzlichen Aufwallung von Schalk und Intuition, griff ich in die Schublade und holte eine der handgemalten Bildkarten hervor, die ich aus Indien mitgebracht hatte. Zusammen mit dem Foto lief ich, so leise und so schnell ich konnte, in Michaels Zimmer und legte es ihm nebst Karte auf das bereits aufgeschlagene Bett.
Dann ging ich zurück in die Küche, kochte Kaffee für Bob und war irgendwie zufrieden mit mir. Als ich meine Naturalien bei Bob abgeliefert hatte, steckte ich den Fotochip in den Rechner, kopierte die Bilder auf die Festplatte, löschte sie von der Karte und schaltete beide Geräte ab. Für
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