Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
antwortete Jake, „es ist besser, wenn er Leute um sich hat, von denen man nicht weiß, wie sie zu ihm stehen.”
Unauffällig sah er sich um. Wir standen in einer überfüllten Bar an der hintersten Ecke der Theke, eng beieinander, und Jake legte ab und zu den Arm um mich, um mir etwas ins Ohr zu flüstern, was er nicht laut sagen mochte. Wir wirkten wie ein Liebespaar. Und wie jetzt schaute er sich öfter um, die Basecap dicht über den Augen.
Ich nickte langsam. Einer, der Michael unverrückbar und offen die Treue hielt, wäre, wenn seine Ängste begründet waren, tatsächlich keine Hilfe.
„Aber was habt ihr vor?“, flüsterte ich.
„Chirelle, was ist das für eine Frage!“
„Sorry, Jake...ich...ich bin naiv, ich weiß.”
„Sag du mir, über was du mit ihm redest. Er ist anders.”
„Gibt das Anlass zur Hoffnung?“
„Hoffnung auf was?“
„Dass er aus diesem Schlamassel heraus kommt?“
„Was heißt ‚rauskommen’?“
Mit einem Seufzer stieß ich Luft aus: „Dass er irgendwo hingeht, sich entgiftet, körperlich und seelisch gesund wird, dass er Musik machen kann, so wie er will, seine Filme dreht...er hat doch so viele Lieder geschrieben... er müsste noch nicht einmal neue produzieren... kann er nicht davon leben?“
„Das hört sich an, als ob alle seine Probleme gelöst wären, nur, wenn er sich aus der Öffentlichkeit entfernt! Du bist wirklich naiv.“
„Vielleicht wären seine Probleme gelöst, wenn es keinen Michael Jackson mehr in der Öffentlichkeit gäbe“, gab ich wütend zurück, „damit die Öffentlichkeit ihn endlich in Ruhe lässt!“
Jakes Erwiderung blieb ihm im Hals stecken. „Keinen...“, er senkte die Stimme auf eine kaum hörbare Dezibelgröße, „...keinen Michael Jackson mehr?“
In seinen Augen blitzte es auf. Dieses Aufblitzen war keine Erkenntnis, es war Vorsicht.
„Wie sollte das gehen?“, fragte er lauernd.
Ja, wie sollte das gehen? Darauf hatte ich natürlich keine Antwort. Ich schwieg und starrte Jake trotzig ins Gesicht.
Jake. Der Name auf meiner fotografierten Liste, der dreimal unterstrichen war.
***
Schon der nächste Tag schien mein letztes Gespräch mit Michael Lügen zu strafen. Ein Bild geisterte durch die Zeitungen. Ein Foto, das Michael in seinen alten Zustand versetzte. Es zeigte nämlich nicht nur ihn, sondern auch die unverhüllten Gesichter seiner Kinder. Es war ein Foto, das während eines Besuches bei einem Freund gemacht worden war. Wie fast immer wusste niemand, wie es zur Presse gelangen konnte. Wie materialisierter Hohn starrte das Titelblatt jeden an, der durch den Flur lief. Es lag da wie ein lebender Protest gegen die Inhalte unserer Gespräche. Ich fühlte mich unbehaglich.
„Darf ich mir aus der Bibliothek ein Buch ausleihen?“ fragte ich Grace.
„Ja, sicher doch, geh nur“, sagte sie und schickte mich mit einer Kopfbewegung raus. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Kaum war ich in der Bibliothek streifte ich mit den Augen über die Buchrücken und fand einige interessante Titel. Ich wählte drei davon. Das dritte war das mit dem Foto. Ohne sie aufzuklappen, ging ich in die Küche, zeigte sie Grace.
„Ist das okay, wenn ich die mal mit in mein Zimmer nehme?“, fragte ich.
Grace warf kurz einen Blick auf die oberen zwei Titel und grinste.
„Was Spiritualität angeht, habt ihr auf jeden Fall den gleichen Geschmack, du und Michael“, sagte sie gleichmütig und drehte sich um. „Ich bräuchte dich heute für ein Picknik,“ sagte sie dann. „Wir benötigen in ca. einer Stunde einen Proviantkorb für fünf Personen. Schaffst du das?“
Ich nickte, nahm die Bücher und ging aufs Zimmer. Das Foto war noch da.
Bekannte Szene: ich fand keinen Schlaf. Altes Rezept: Weinglas, Decke, See. Starren, bis die Gedanken an ihrer eigenen Zähigkeit ersticken, bis die Müdigkeit kommt. Als ich in dieser mondlosen Nacht Richtung See ging, saß dort eine Gestalt. Ein paar Schritte weiter erkannte ich an Haltung und Statur der Person, dass sie nicht Michael war. Zögernd verhielt ich im Schritt und blieb dann ganz stehen. Gerade, als ich umkehren wollte, sah der Mann zu mir her. Es war Jake.
Er sah mich lange an. So lange, bis meine Beine weitergingen und ich mich schließlich zu ihm ans Ufer setzte. Stumm hielt ich ihm mein Weinglas hin. Er nahm es und trank einen tiefen Schluck.
„Bist du jetzt hier Dauergast?“, fragte ich.
„War ich schon immer.”
„Ah, okay, klar“. Er gab mir das Weinglas zurück.
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